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Noch halbe Kinder und schon Totschläger

■ In vier Fällen haben Jugendliche mit äußerster Kälte und Brutalität Obdachlose und wehrlose Betrunkene getötet

Sie sind fast noch Kinder, aber ihre Taten zeugen von einer ungeheuren Brutalität. Ihre Opfer sind Obdachlose oder wehrlose Betrunkene mit kaum einer Mark in der Tasche. Im Kriminalgericht Moabit geben sich die jugendlichen Täter zur Zeit regelrecht die Klinke in die Hand. Gestern wurden zwei Schüler im Alter von 15 und 16 Jahren zu je sechseinhalb Jahren Jugendstrafe verurteilt. Sie hatten im Februar dieses Jahres auf einen in Weißensee als „Mann mit der Mundharmonika“ bekannten 46jährigen Wohnungslosen solange mit einem Ziegelstein eingeschlagen, bis sich der Mann nicht mehr rührte. Danach stahlen sie ihm seine wertlose Habe.

Gleichzeitig begann gestern der Prozeß gegen einen 15- und einen 17jährigen wegen Raubmordes an einem 28jährigen Obdachlosen in Hohenschönhausen im vergangenen März. Vier Freunde der beiden sind mitangeklagt. Alle sollen einer Clique von Rechtsradikalen angehören. Die beiden Hauptangeklagten sollen den Obdachlosen erst seine gesamte Barschaft von acht Mark abgenommen haben. Danach schlugen sie ihn laut Staatsanwaltschaft mit einer Eisenstange auf den Kopf und erstachen ihn mit einem Messer.

Wie das erste Verfahren findet auch der zweite Prozeß aufgrund des Alters der Angeklagten hinter verschlossenen Türen unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt. Über die Tatmotive, die Biographie der Angeklagten und deren Verteidigungsstrategie dringt somit kaum etwas nach außen. Die Anklage in den Verfahren lautet in der Regel auf Raubmord, aber meist kommt ein milderes Urteil heraus. So geschehen in einem dritten Prozeß Anfang vergangener Woche gegen zwei Jugendliche, 16 und 17 Jahre alt. Die beiden hatten im November 1993 im Bezirk Treptow einen betrunkenen Gast vor den Treppen eines Lokals aufgelesen. Nachdem sie ihn ein Stück weggeschafft hatten, mißhandelten sie ihn in einem Hausflur zu Tode. Mit den Schlägen und Tritten sollte der Mann dazu gebracht werden, die Geheimnummer seiner Scheckkarte preiszugeben. Das wehrlose Opfer war dazu aufgrund seiner 3,7 Promille Alkohol überhaupt nicht in der Lage. Als Todesursache hatten die Ärzte eine Zertrümmerung des Gesichtsschädels mit Hirnzerstörung festgestellt. Die Täter hatten so zugetreten, daß das Blut des Opfers in dem Hausflur die Wände hochgespritzt war. Trotz dieser Brutalität wurden die beiden Jugendlichen wegen versuchter räuberischer Erpressung und gefährlicher Körperverletzung zu drei Jahren beziehungsweise zwei Jahren und sechs Monaten Jugendstrafe verurteilt. Eine Tötungsabsicht sei nicht nachweisbar gewesen, hieß es.

Demnächst werden drei junge Männer im Alter von 20, 18 und 17 Jahren vor Gericht stehen. Die drei hatten Ende August einen Obdachlosen in Wilmersdorf mit einer Baseballkeule mißhandelt. Danach nahmen sie ihm seine letzten fünf Mark ab, erstachen ihn mit einem Messer und warfen die Leiche in ein Wasserbecken. Der Leiter der 3. Mordkommission, Gunnar Kebschull, bearbeitet damit bereits den zweiten Fall dieser Art in diesem Jahr. Von einer zunehmenden Tendenz mag er aufgrund mangelnden Zahlenmaterials allerdings noch nicht sprechen. Eine solche „sinnlose Brutalität und die große Gefühlskälte“ habe er aber selten zuvor bei jugendlichen Tatverdächtigen registriert, sagte er. Plutonia Plarre

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