: Der Fluch der guten Tat
■ Dagmar Hase ermöglichte bei der Schwimm-WM durch Finalverzicht Franziska van Almsicks Titelgewinn und schied selbst auf ihrer Spezialstrecke aus
Berlin (taz/dpa) – Hektische Diskussionen im Schwimmteam der US-Amerikaner über die Frage, ob sich denn nun tatsächlich die Besten für das 200-m-Schmetterling-Finale qualifiziert haben oder ob man nicht vielleicht doch den ein oder anderen Austausch vornehmen sollte. Die Chinesinnen lassen ihre 800-m-Spezialistinnen vorsichtshalber noch mal ein internes Qualifikationsrennen am frühen Nachmittag schwimmen, um ganz sicher zu gehen, und die Ungarin Krisztina Egerszegi tritt zu ihrem Vorlauf gar nicht erst an, sondern läßt sich gleich von einer Mannschaftskollegin doubeln. Das Beispiel der Magdeburgerin Dagmar Hase, die durch ihren großmütigen Finalverzicht die Bahn für den Weltmeisterschaftsgewinn der eigentlich im Vorlauf ausgeschiedenen Franziska van Almsick ebnete, könnte neue Maßstäbe im Schwimmsport setzen. Nur die Sache mit der Freiwilligkeit müßte noch ein wenig modifiziert werden, wie Dagmar Hase einen Tag nach ihrer „imponierenden Geste“ (DSB-Präsident Hansen) am eigenen Leibe erfuhr.
Der Rummel um ihre solidarische Aktion hatte die Schwimmerin wohl doch mächtig mitgenommen, obwohl alle Beteiligten nicht müde wurden zu betonen, daß der Startverzicht ohne jeden Druck zustandegekommen und auch nicht mit bunten Schokoladenbergen oder ähnlichen Verlockungen erkauft worden war. Wie dem auch sei, gestern morgen schied Dagmar Hase, so wie van Almsick bei den 200m Freistil, selber als Neunte im Vorlauf ihrer Paradedisziplin aus, den 400m Freistil, bei denen sie in Barcelona olympisches Gold gewonnen hatte. Doch für die 24jährige fand sich kein mitfühlendes Gemüt, das ihr doch noch den Griff nach dem Titel ermöglichte. „Ich werde auf keinen Fall verzichten“, stellte die Potsdamerin Jana Henke, die es mit dem achten Platz gerade ins Finale geschafft hatte, umgehend klar. „Dazu habe ich keine Lust, denn ich will in einem WM-Finale schwimmen.“
Kaum noch ansprechbar nach der unglückseligen Ereignisdoublette waren die deutschen Funktionäre. „Kein Kommentar“, kommentierte Schwimmwart Ralf Beckmann. „Laßt mich bloß damit in Ruhe“, meinte Frauen-Bundestrainer Achim Jedamsky. Dagmar Hase, nicht ganz fit nach Rom zur WM gereist, machte aus ihrem Herzen keine Mördergrube: „Ich bin stinksauer.“
Während sich die Magdeburgerin damit trösten konnte, daß sie durch ihren selbstlosen Verzicht weit mehr Aufsehen erregte hatte als etwa durch einen fünften Rang im 200-m-Finale, konnte Franziska van Almsick, die das unverhoffte Geschenk nach eigenem Bekunden zuerst gar nicht annehmen wollte, ihr Glück kaum fassen. Die 16jährige holte nicht nur Gold, sondern in 1:56,78 Minuten auch noch den Weltrekord, den die Berlinerin Heike Friedrich seit dem 18. Juni 1986 mit 1:57,55 hielt. Silber ging an die Chinesin Bin Lu (1:56,89) vor Claudia Poll aus Costa Rica (1:57,61).
Für Weltrekord Nummer 3 dieser WM sorgte der Amerikaner Tom Dolan in 4:12,30 Minuten über 400m Lagen. Zum Ausklang gewann die deutsche Staffel mit Andreas Szigat (Potsdam), Christian Keller (Essen), Oliver Lampe (Arpke) und Steffen Zesner (Berlin) über 4x200m Freistil Bronze. Weltmeister wurde das Quartett aus Schweden vor Rußland. Matti
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