: Die Öko-Pause als Selbstbetrug
■ Umweltschutz gefährdet nicht den Wirtschaftsstandort Deutschland - ganz im Gegenteil: Der Vizepräsident des Umweltbundesamtes las zum Auftakt der Veranstaltung „Umweltschutz - (k)ein Luxusgut“ der Industrie die Leviten
Die Litanei ist nicht neu, und sie wird durch ständiges Wiederholen nicht besser: Fast regelmäßig in einer Rezession schieben die Spitzenverbände der deutschen Wirtschaft eine Diskussion über eine „Umweltschutzpause“ an. Der Tenor: In Krisenzeiten drückt der Umweltschutz die Industrie unter Wasser, hemmt Investitionen und zwingt die Unternehmen zur Verlagerung von Standorten und Massenentlassungen. Umweltschutz, so die These, ist schierer Luxus, den man sich höchstens leisten kann, wenn der Schornstein raucht.
Stimmt nicht, sagt Andreas Troge. Der Vizepräsident des Umweltbundesamtes (UBA) in Berlin sprach am Dienstag abend in Bremerhaven zum Thema „Die Rolle des Umweltschutzes im Standortwettbewerb“ bei der Eröffnung der Veranstaltungsreihe „Umweltschutz - (k)ein Luxusgut“ (siehe Kasten). Troges zentrale These, mit der er vor über 100 ZuhörerInnen aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung Punkt für Punkt das Gerede vom Wirtschaftskiller Ökologie widerlegte: „Industrieverlagerungen allein aus Umweltschutzgründen finden in Deutschland praktisch nicht statt.“ Eine schallende Ohrfeigen für die Unternehmensverbände, die in Wahlkampfzeiten mit dem Schreckgespenst des wirtschaftlichen Niedergangs gegen den Umweltschutz polemisieren
Die Forderung nach einem Moratorium für die Umweltpolitik, so Troge, sei in den letzten 12 Jahren dreimal gestellt worden, zuletzt vom Vorstandsvoristzenden der „Bayer AG“, Manfred Schneider. Der hatte in der FAZ erklärt: „Wir wollen einen Stillstand in der Umweltpolitik. Wir wollen die Politiker davon überzeugen, daß sie nicht immer Forderungen stellen, die teils so überzogen sind, daß man in Deutschland mit großem finanziellen Aufwand nur noch minmale Verbesserungen erreicht.“ Troge hält dieser Theorie von der Vertreibung der Unternehmen durch Öko-Auflagen die Ergebnisse einer Studie des „Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung“ (RWI) und des „Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung“ (DIW) entgegen: Die hatten im Frühjahr 1993 den „Einfluß umweltbezogener Standortfaktoren auf Investitionsentscheidungen“ untersucht und festgestellt: „Es lassen sich in der Vergangenheit keine Anhaltspunkte dafür finden, daß die Umweltpolitik in der Bundesrepublik Deutschland per saldo zu einer Beeinträchtigung der Standortqualität geführt hat.“
Denn die oft beschworenen Kosten des Umweltschutzes sind niedriger als oft angegeben. Insgesamt nur 1,6 Prozent des Bruttosozialprodukts gehen in den Umweltschutz, führte Umweltsenator Fücks bei der Veranstaltung aus; im Vergleich zu den 8,2 Prozent für das Gesundheitswesen oder die 2,8 Prozent für Rüstung ist das ein Klacks. Von diesem Betrag wiederum investiert die öffentliche Hand rund die Hälfte. Gemessen am Umsatz machen die Aufwendungen des produzierenden Gewerbes für Umweltschutz laut UBA durchschnittlich weniger als ein Prozent aus - in Dreckschleuderindustrien wie Chemie oder Bergbau höchstens drei bis vier Prozent. „Die Umweltschutzausgaben“, so der Vizechef des UBA, „erreichen damit weder im internationalen Vergleich noch im Vergleich mit anderen Kostenblöcken gesamtwirtschaftlich eine ausschlaggebende Größenordnung.“
Die wirklichen Gründe für die Verlagerung von Industrien liegen nämlich kaum in den Öko-Auflagen sondern etwa bei der Gewinnbesteuerung und den Arbeitskosten. In Deutschland zahlt ein Chemie-Unternehmen 63 Prozent seines Gewinnes vor Steuern an den Fiskus, in Großbritanien nur 42 Prozent. Die Arbeitskosten pro Stunde liegen in Deutschland bei 42 Mark, in Großbritannien bei 23 und in Griechenland sogar nur bei 11 Mark. Die Öffnung Osteuropas wiederum hat alle diese Vergleiche durcheinandergewirbelt: Dort locken die Unternehmen trotz geringerer Produktivität Arbeitskosten von einem Zehntel des deutschen Durchschnitts .
Ein weiteres Indiz dafür, daß der Umweltschutz nicht die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft erdrosselt: „Besonders umweltbelastende Produktionen mit relativ hohen Umweltschutzkostenanteilen haben deutliche Anteile am Weltmarkt halten können.“ So ist Deutschland trotz aller Auflagen weiterhin die mit großem Abstand führende Exportnation bei „umweltintensiven Gütern“. Umweltschutzmaßnahmen, so Troge, könnten den Unternehmen auch durchaus Geld sparen: Ein bis zwei Prozent der gesamten Produktionskosten seien durch Maßnahmen zur Verminderung von Rohstoff-, Energie und Wasserverbrauch zu reduzieren, wenn die Unternehmen nur endlich ordentliches Umweltmanagement betrieben. Schließlich schießt Vater Staat bei Umweltinvestitionen Geld dazu: In den letzten zehn Jahren immerhin „zweistellige Milliardenbeträge“. Und auch die oft monierten Genehmigungsverfahren nahm Troge in Schutz: Zwar solle schneller entschieden werden, aber bei der „überwiegenden Mehrzahl der betroffenen Betriebe“ dauere das Genehmigungsverfahren nicht länger als ein halbes Jahr.
Die Ökologie ist also keineswegs der Bremsklotz für die Ökonomie - im Gegenteil. Eine funktionierende Umwelt werde immer mehr zu einem wichtigen Standortfaktor, meinte Troge. Die DDR-Altlasten in der Chemie-Region Halle-Dresden-Bitterfeld zeigten, wie schwer es Betriebe in solchen Gegenden hätten: „Versuchen Sie mal, einen qualifizierten Mitarbeiter nach Bitterfeld zu bekommen.“
Hohe Umweltstandards als Standortvorteile von morgen, so wünscht sich der Bundesbeamte die Standortdebatte. Inzwischen sei der Umweltschutz einer der dynamischsten Wachstumsmärkte mit einem Umsatz von 40 Milliarden Mark, 4000 Unternehmen und derzeit 680.000 Beschäftigten in Deutschland. Bis zum Jahr 2000 werde diese Zahl auf 1,1 Million steigen, und Deutschland als Vorreiter bei Umweltschutztechnologien weiter profitieren: „Mit einem Anteil von 21 Prozent am Welthandel und einem Ausfuhrwert von 35 Milliarden DM war Deutschland 1990 das mit Abstand größte Exportland an umweltschutzrelevanten Gütern.“
Umweltschutz also als positiver, nicht als negativer Standortfaktor, das ist das Credo von Andreas Troge. Bei der Durchsetzung von Umweltzielen riet er den ZuhörerInnen zu langem Atem: Hart in der Sache, aber flexibel beim Zeitpunkt der Durchsetzung von Maßnahmen solle man sein. An Deutlichkeit der Industrie gegenüber ließ er selbst es nicht mangeln: „Wer heute aus unternehmerischer Sicht ein Stopp oder sogar ein Zurückdrehen des Umweltschutzes fordert, mag zwar kurzfristig für sein Unternehmen Entlastungen erhoffen, aber was für den Einzelnen eine Atempause bringen mag, würde Deutschland nicht nur im Umweltschutz, sondern auch in absehbarer Zeit wirtschaftlich zurückwerfen.“ Letztlich müsse darüber nachgedacht werden, zu welchen Kosten die Gesellschaft ihre Produkte produzieren wolle – jedenfalls nicht auf Teufel komm raus: „Standortverträglichkeit kann nicht heißen, daß alle bisherigen Produktionen zu bestehenden Kosten im selben Umfang fortgeführt werden können. Es ist unmöglich, eine Umweltpolitik nach dem Verursacherprinzip zu betreiben, ohne daß die hiernach erforderliche Kostenanlastung einzelwirtschaftlich zu Anpassungszwängen führt.“ Zu deutsch: Wer ohne Rücksicht auf Verluste den Schornstein qualmen läßt, muß im Zweifel seine Bude dichtmachen.
Denn wer Dreck macht, soll auch zahlen: „Richtig verstandener Umweltschutz muß nach dem Verursacherprinzip diese Schäden den Verursachern anlasten. Von daher erzeugt konsequente Umweltpolitik keine zusätzlichen Kosten, sie rechnet bestehende Umweltkosten unseres Wirtschaftens nur adäquat zu.“ Und die Kosten für unterlassenen Umweltschutz sind enorm. Troge listete auf: Umweltbedingte Atemwegserkrankungen 2,6 Milliarden Mark jährlich, Herz-Kreislauf-Schäden 2,8 Mrd, der Schaden an Gebäuden durch Luftverschmutzung 3,6 Mrd. Die Kosten für die Sanierung von Böden belaufen sich auf geschätzte 22 bis 60 Mrd Mark und die Folgen des Lärms kosten die Gesellschaft in einem Jahr knapp 30 Mrd.
Eine auch jetzt wieder praktizierte Blockade der Umweltschutzes durch die Unternehmensverbände hat für Troge zwei mögliche Folgen: Entweder es passiert überhaupt nichts und die Umweltsituation verschlechtert sich rapide, oder aber es gibt irgendwann einmal starke dirigistische Maßnahmen: „Wenn sich manche Spitzenverbände der Wirtschaft mit dem Hinweis auf eine drohende verschlechterte Standortqualität jahrelang gegen umweltpolitische Maßnahmen engagieren und damit nicht ganz erfolglos sind, provozieren sie später kurzfristig greifende Maßnahmen mit erheblicher Eingriffsintensität, die das Anpassungsvermögen vieler Unternehmen schnell überfordern können.“ Wer zu spät kommt, den bestraft auch in der Umweltpolitik das Leben:
Konkret wurde Troge in der Hafenstadt am Beispiel des Treibhauseffektes. Durch die Erwärmung der Atmosphäre sei mit einem Ansteigen der Ozeane um 60 Zentimeter bis zum Jahr 2100 zu rechnen. Ganze Küstenstriche versinken nach diesem Szenario im Wasser, das Ackerland wird knapp und es entstehen weltweite Flüchtlingsprobleme. Bei dieser Debatte rechnet Troge mit Problemen, für die „die Asyldebatte der vergangenen Jahre nur ein Vorspiel“ war. Da fühlte sich ein Vertreter der Hafenbehörde doch bemüßigt, diesem „Horrorzenario“ die feste Versicherung entgegenzusetzen, an der deutschen Küste seien die Deiche für die nächsten dreißig Jahre sicher. „In Bremerhaven“, kommentierte Fücks trocken „ist die Welt eben noch in Ordnung“.
Bernhard Pötter
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