: Der Teufel im Feuchtgebiet
Das Milliardenprojekt in Lubmin – Wir bauen uns eine Investitionsruine ■ Von Tomas Niederberghaus
Sind Sagen wahr? Es war ein regnerischer Herbst. Ein schwarzer Muskelmann mit zwei riesigen Hörnern thronte auf der Insel Rügen. Es war der Teufel. Eines Tages kam dem Teufel zu Ohren, daß die Gemeinde Wusterhusen ein neues „Gotteshaus“ errichtet. Fuchsteufelswild schleuderte der Teufel fette Findlinge Richtung Festland. Der größte Granitblock plumpste vor dem Ort Lubmin in die Ostsee. Dort bäumt er sich noch heute wie ein Walfischrücken aus dem Wasser. Und in diesem Herbst sehen viele Lubminer den Stein erneut als unheilkündendes Symbol. Auch Umweltschützer und Regionalplaner glauben fast, daß der Teufel im Spiel ist. Denn vor den Toren der 1.500-Seelen- Gemeinde wird seit 1991 eine touristische Trabantenstadt geplant.
Der Kopf des Eine-Milliarde- Mark-Projektes ist der Berliner Reiseexperte Bernd Vrubliaskaite, dessen GmbH unter dem sinnigen Namen „Teufelstein“ firmiert (Kapitaleinlage 50.000 Mark). Die Dorfräte Lubmins haben den ersten Bebauungsplan einstimmig verabschiedet. Mit etwa 3.000 Arbeitsplätzen, wirbt Bürgermeister Matthias Lietz, könne der Freizeitpark der Region aus der Misere helfen. Seit der Schließung des Kernkraftwerkes liegt die Arbeitslosigkeit hier bei rund 20 Prozent.
Auf dem 90 Hektar großen Areal sollen 700 Ferienappartements mit insgesamt 2.000 Betten, 100 Einfamilienhäuser, ein Akademiehotel mit 300 Betten und 200 Studentenstudios („Mittlerer Standard bis Spitzenkategorie“) errichtet werden. Damit es den Weitgereisten nicht langweilig wird, sieht das Konzept ein Revue- Theater, eine Kleinkunstbühne, ein Schönheitscenter und ein tropisches Spaßbad vor. Sämtliche Wunder der Freizeitindustrie an einem Ort.
Vrubliaskaite stapelt hoch: Allein das Bad beschreibt er als „das attraktivste und leistungsfähigste Angebot Deutschlands“. Schönes Wetter machte der Touristiker bereits in seiner eigens für den Freizeitpark verlegten Monatspostille Bodden-Bote. „Lebens- und Erholungskultur“, hieß es in der ersten Ausgabe, „machen die Angebote aus. Damit entspricht die Planung sowohl dem Charakter der Landschaft wie den hier lebenden Menschen.“
Die sehen das allerdings etwas anders. „Teufelstein GmbH“ klingt für sie wie das Wort „Ganoven“. Das sagt ein Pensionsbesitzer im Ort, der gegen Vrubliaskaite prozessiert. „Wie will die Teufelstein GmbH das Projekt finanzieren“, fragt er, „wenn sie bei mir nicht einmal ein paar Hundert Mark für ein Geschäftsessen mit 26 Personen zahlen kann?“ Inzwischen meldet auch das Innenministerium in Mecklenburg-Vorpommern Bedenken an. „Unter einer planerischen Bewältigung“, heißt es in einem der taz vorliegenden Mahnschreiben an die Gemeinde Lubmin, „ist nicht nur das Sammeln positiver Stellungnahmen zu verstehen.“ Es sei zu befürchten, daß der Haushalt der Gemeinde durch „Verpflichtungen aus dem Bauplan in allergrößtem Umfang belastet werden würde“. In diesem Zusammenhang weist das Innenministerium die Lubminer Stadtväter darauf hin, daß die Teufelstein GmbH nicht nur mit dem Gelände in Lubmin liebäugelt, sondern zugleich „mit einer Investitionssumme von cirka 700 Millionen Mark als Bieter für ein Projekt in Prora auf Rügen“ auftritt. Doch die Warnung kommt spät: Die Teufelstein GmbH steht bei der Gemeinde bereits mit 2,6 Millionen Mark in der Kreide. Inzwischen gehen schon die Kleingärtner auf die Barrikaden: Die Wasserwerke haben der Teufelstein GmbH wegen nichtbezahlter Rechnungen den Hahn abgedreht. Dadurch wurden zugleich die Leitungen der grünen Idyllen ausgetrocknet.
Daß dem Unternehmen schon jetzt finanziell die Puste ausgeht, mag auch an verunsicherten Investoren liegen. Amerikanische und Schweizer Banken sowie deutsche Versicherungen wollten Millionen in das Projekt pumpen. Für die plötzliche Zurückhaltung sieht Tourismusexperte Martin Bütow vom Institut für Geografie der Greifswalder Uni folgende Gründe: Lubmin liegt zwischen den Fremdenverkehrsmagneten Rügen und Usedom. „Gegen diese traditionellen Badeorte“, sagt Bütow, „hat Lubmin nicht die allerbesten Chancen.“ Zudem werde das ehemalige Kernkraftwerk in kürze als Zwischenlager für mittelschweren Atommüll umgerüstet. Der neue Erholungspark bekäme dadurch eine sichere Ausstrahlung. Und nicht zuletzt laboriere Lubmin durch die Nähe zu Greifswald am rechtsradikalen Image.
„Alles, was wir verwirklichen wollen“, schrieb das PR-Blatt Bodden-Bote, „geschieht unter der Fragestellung, nützt es der Region?“ Umweltschützer beantworten dies längst mit einem klaren Nein. Die hausgemachte Umweltstudie der Teufelstein GmbH bezeichnet ein Vertreter des renommierten Staatlichen Amtes für Umwelt und Natur (Staun) gegenüber der taz als „schlechten Comic“. Die Vorlage sei „in allen Punkten unzureichend“. Mit dem geplanten Wohngebiet im Bodden, einem „geschützten Feuchtgebiet von nationaler Bedeutung“, werden 83.000 Quadratmeter Ackerland einem völligen Nutzungswandel unterzogen. In einem schriftlichen Gutachten stellt das Greifswalder Staun fest: „Das Biotop Brachland wird durch die Bebauung zerstört. Damit wird vielen geschützten Tieren der Lebensraum entzogen.“ Zudem verlieren etwa 100.000 Zugvögel einen Rastplatz. Und nicht nur das. Der Bodden gilt als das größte Heringslaichgebiet in ganz Deutschland. Das Staun befürchtet starke Belastungen durch Nachfolgeinvestitionen wie einen Segelhafen.
Der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) kritisiert darüber hinaus auch die Tatsache, daß die Teufelstein GmbH nur Teilvorhaben statt eines Gesamtplans vorlegt. „Damit wird versucht, etwas durchzudrücken, was als Ganzes nicht genehmigt wird“, sagt Reinhard Karpuschkat vom BUND, „und wenn ein bestimmter Bauzustand erreicht ist, wird kein Richter auf einem Abriß bestehen“. Ähnlich kryptisch lief auch das Raumordnungsverfahren, das 1991 vom Wirtschaftsministerium befürwortet wurde. Damals allerdings trat noch die Gemeinde in der GmbH als Investor auf. Heute steht Reiseexperte Vrubliaskaite alleine da. Seine Gigantomanie würde eine Bevölkerungszunahme von etwa 100 Prozent mit sich bringen. Siedlungsgemeinden auf dem flachen Land dürfen aber nur 20 Prozent neue Wohneinheiten errichten. Das besagt die Vorgabe des Regionalplanungsausschusses Vorpommern, und ein neues Raumordnungsverfahren ist nicht geplant.
Natürlich scheuen touristische Anbieter in Lubmin die Konkurrenz. Mit der Geschwindigkeit des geplanten Nobeltourismus könne sich kein Pensionsbesitzer aus dem postsozialistischen Beherbergungs-Ei pellen. In Lubmin weht der Seewind noch um alte Schilder mit den Lettern: „Reichsbahnerholungsheim“. Der Kiefernwald am Strand ist mit kleinen Holzcontainern aus den 50er Jahren zugepflastert. Rostige Drahtzäune schirmen das Gelände ab. Das DDR-Regime garantierte dort optimale Erholung. Doch von heute auf morgen können viele Ludminer ihr Angebot nicht aufpeppen. Dazu fehlt das Geld. Auch die mangelnde Erfahrung mit dem kapitalgesteuerten Fremdenverkehr bremst die Entwicklung. Und vielleicht auch die Angst vor dem Teufel.
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