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Das Stadtschloß läßt die Hüllen fallen

Ab Sonntag verschwindet die Attrappe am Marx-Engels-Platz / Zurück bleiben zerstrittene Initiatoren und Schulden in unbekannter Höhe / Was passiert jetzt mit dem Schloß-Projekt?  ■ Von Ralph Bollmann

Der Sommer ist vorbei. Die Alliierten sind gerade abgezogen. Und bald ist auch die Schloß- Attrappe weg. Noch ein paar Tage, dann werden am potemkinschen Ort die gelben Stoffbahnen fallen. Drei Viertel von ihnen sind schon verkauft, zu 400 Mark für den Quadratmeter. Ein gutes Geschäft? Alles andere als das.

Die Attrappe präsentiert sich schon seit geraumer Zeit in Endzeitstimmung. Auf den weißen Gartenmöbeln vor den Imbißbuden fröstelten zuletzt nur wenige Besucher vor sich hin. Im unverhüllten Stahlgerippe des „Schloßhofs“ trotzt der Tagesspiegel mit seinem Gratiskino tapfer der Witterung. Die gestrenge ältere Dame, die in der Ausstellung darüber wacht, daß auch niemand hineinrutscht, ohne die neun Mark zu bezahlen, verheddert sich schon hoffnungslos im Dickicht der bunten Eintrittskarten und des Wechselgeldes, wenn nur zwei Besucher gleichzeitig kommen.

Mehr Überblick an der Kasse muß aber gar nicht sein. Es kommen kaum Besucher. In diesem Jahr waren es nur ein- bis zweihundert täglich. Letzten Sommer waren es noch zehnmal so viele. Wilhelm von Boddien, der Vorsitzende des „Förderverein Berliner Stadtschloß“, führt das auf den naßkalten Mai und die Hitze der Sommermonate zurück, zudem „war das Potential in der Stadt weitgehend ausgeschöpft“.

In Wahrheit ist den meisten BerlinerInnen das Preußen-Imitat, vor Jahresfrist noch heiß diskutiert, einigermaßen gleichgültig geworden. Auch der Musical-Veranstalter Peter Schwenkow und der Theatermann Einar Schleef mochten sich für Aufführungen vor pseudohistorischer Kulisse nicht mehr begeistern und gaben Boddien einen Korb.

Daß es keinen zweiten „Sommer im Schloßhof“ gab, lag auch daran, daß der Betreiber nach dem ersten Sommer pleite war – was unter anderem zur Folge hat, daß niemand die feuerfesten Durchgänge in den Hof bezahlt. „Auf einmal kriege ich die Rechnung“, empört sich Boddien im Gespräch mit der taz. Streit gibt es auch um die Spiegelwand. „Die Unterkonstruktion ist so schlecht, daß der Spiegel schlechter spiegelt als der Palast der Republik“, begründet Boddien, warum er nicht zahlen mag. Auch Forderungen für das Gerüst sind noch offen. Der Chef des Fördervereins hofft, daß sich Thyssen – zugleich einer der Hauptsponsoren – bei den Verhandlungen in dieser Woche kompromißbereit zeigt.

Daß Boddien nun so knausert, führt der Berliner Architekt Frank Augustin darauf zurück, daß das Schloß-Projekt „eine Pleite“ ist. Augustin hatte gemeinsam mit dem Hamburger Baugeschichts- Professor Gerd Peschken das Schloßmodell entwickelt und war beim Förderverein als Architekt für Attrappe und Ausstellung unter Vertrag. Nach seinen Informationen sind beim Verein 1,5 Millionen Mark offen. Boddien spricht von „nur“ 600.000 Mark, die er bis 1996 beisammen haben will.

Augustin habe ihn nur „mit dem ganzen Scheißdreck überzogen“, weil er fürchte, in Regreß zu kommen. Für den Architekten liegen die Gründe des Zerwürfnisses tiefer. Peschken und er „wollten aufklären, ganz brav und anständig, Boddien dagegen will um jeden Preis das Schloß wiederhaben“. Statt die Schloßfassade, wie von ihnen vorgeschlagen, als Raster verfremdet auf einen Gazestoff zu drucken, habe er sich für das platte gelb entschieden – gemalt von Madame Feff aus Paris, „die kann er schön vorzeigen und die kritisiert ihn nicht“. Boddien habe das Projekt als Personality-Show betrieben und „sich dadurch in den Berliner Filz eingewoben“.

Immerhin scheint das Modell die nicht ganz neue Einsicht bekräftigt zu haben, daß der Marx- Engels-Platz nicht so bleiben kann, wie er ist. „Ach wie traurig, ich dachte, die Berliner könnten sich jetzt drei Jahre dran freuen“, kommentierte der Bauexperte der SPD-Bundestagsfraktion, Peter Conradi, gegenüber der taz den Attrappen-Abbau. Doch sei er „überzeugt, daß dort, wo die Linden aufhören, eine Baumasse sein muß, die den Dimensionen des Schlosses entspricht“. „Gute Architekten“ sollten Vorschläge machen, wie man ihn „nach vorne ziehen kann“. Conradi selbst mochte keine konkreten Vorschläge machen: „Ich war kein guter Architekt, sonst wäre ich nicht in die Politik gegangen.“

Mehr Erfolg hatte Boddiens PR-Gag beim Palast-Architekten Heinz Graffunder: „Er hat so viel Stimmung gemacht – ich bin schon fast überzeugt, daß es ganz gut ist, das Schloß wiederaufzubauen.“ Ähnlich wie Peschken und Augustin favorisiert er eine Lösung, die Schloß und Palast verbindet. Der Abbau des Imitats werde „den Handlungsbedarf deutlich machen, den die Regierung vor sich herschiebt“.

Für andere freilich wäre ein aus dem Nichts hochgezogener Schloßneubau im Prinzip nichts anderes als die Potemkin-Fassade, die nächstes Wochenende verschwindet. Die Argumente der Schloß-Befürworter, so der Publizist Wolfgang Pehnt im Ausstellungskatalog, zeugten „von irritierender Gleichgültigkeit gegenüber der Geschichte“. Auch Frankreichs Präsident Mitterrand mahnte die BerlinerInnen vergangene Woche: „Nein, wir müssen die Regeln der Architektur an die Vorstellungskraft und Kreation des nächsten Jahrhunderts anpassen und darauf vorbereiten.“

Ob die schnelle Entscheidung, die Graffunder oder Boddien anmahnen, überhaupt förderlich ist, bezweifeln viele. Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer (CDU) will sich nur zu den Schloßbefürwortern schlagen, „falls wir nach fünf Wettbewerben noch kein passables Ergebnis für einen modernen Neubau gefunden haben“. Auch der Berliner Architekturgeschichtler Julius Posener rät: „Man lasse sich Zeit.“

Wilhelm von Boddien aber mag nicht warten. Daß ihm sein Schloß- Engagement einen neuen Job als Leiter der „Partner für Berlin – Gesellschaft für Hauptstadtmarketing mbH“ eingebracht hat, genügt ihm nicht. Wenn er nach dem Vertragsabschluß am 7. Oktober die Räume bezieht, in denen schon Axel Nawrocki die Olympia-Bewerbung kostenintensiv in den Sand setzte, möchte er weiterhin für den Wiederaufbau trommeln. Gleich nach der Bundestagswahl soll die Entscheidung fallen. Ein Jahr rechnet er dann für die Entsorgung des Palastes, sechs bis sieben Jahre Bauzeit für den modernen Kern. Bis die Fassade wieder von Preußens Gloria kündet, sollen noch einmal zehn bis fünfzehn Jahre vergehen – aber für die Zwischenzeit, meint Boddien, könnte ja Madame Feff die Fassade wieder anmalen.

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