: Das Tier, das sagt: Ich will
La Fura dels Baus auf ihrer Europatournee in Berlin: Die katalanischen Terrorperformer versuchen sich an einem „digitalen Theater“ ■ Von Petra Kohse
Die Spiegelwände rechts und links könnten täuschen. Aber man kann ja in die Kamera winken und die eigene Hand vorne auf der Riesenleinwand aus der Publikumsmasse sich tatsächlich erheben sehen. Dann gibt es keinen Zweifel mehr, man ist dabeigewesen, im Zelt des Berliner Tempodroms, bei der neuen Performance von La Fura dels Baus. Dieses Angebot zur Selbstversicherung in dreifacher Potenz wird alsbald durch elementare Selbstverunsicherung abgelöst. Denn auch was später im Zelt passiert, wird gefilmt. Und wer sich da auf das Videobild verläßt, ist selber schuld, denn das Geschehen wird meist brutalistisch manipuliert gezeigt und mit irreführenden Kommentaren versetzt. Massenkommunikation ist Täuschung, das Medium kein Spiegel. Und deswegen weiß man am Ende der Vorstellung doch wieder nicht, ob man nun leibhaftig dabei war oder nicht.
So oder ähnlich würden sie sich die Rezeption ihrer fünften Show „M.T.M.“ sicher wünschen, die katalanischen Performer, die neue Wege eines „digitalen Theaters“ beschreiten wollen. Über dem Bild des Publikums erscheint zu Anfang ein Schriftzug: „Letzte Schicht angehäuften Lebens.“ Drei Pfeile zeigen nach unten. Wir sind mitten im Endspiel, und für die, die es noch nicht geahnt haben, folgt ein Abriß der Zivilisationsgeschichte – was bisher geschah.
„M.T.M“ heißt Magnus Theatrum Mundi, das Große Welttheater. Uraufgeführt wurde es im März in Lissabon, der europäischen Kulturstadt des Jahres. Ein Barockspiel im digitalen Gewande, Himmel und Hölle des Menschen ist das Medium. Das Generalthema von La Fura dels Baus (auf deutsch: Kanalratte) ist ja die Geburt des modernen Menschen aus der Erfahrung der Gewalt. Diesmal gesellt sich zur pauschalen Zivilisationskritik die Kommunikationskritik am praktizierten Beispiel.
Ein Barockspiel im digitalen Gewande
Dieses Welttheater hat mit drei Akten samt Prolog und Epilog eine durchaus klassische Form, und so wüst sich die Protagonisten auch gebärden, eine Handlung ist ebenfalls und noch immer erkennbar: die Irrungen des Menschen durch drei Stufen der Machterfahrung. Die mediale Verzerrung der Theaterhandlung auf der Leinwand ist da eigentlich nur ein technisch versierter Schlenker, der zwar Botschaft sein soll, und ein Baustein für eine Theatersprache der Zukunft, tatsächlich jedoch in eine Sackgasse führt.
Denn wenn Pappe und Handgemenge im Zelt auf der Leinwand als Stein und blutiges Gemetzel erscheinen, wenn Bild und (vermeintliches) Abbild durch die gleichzeitige Präsentation in Frage gestellt werden sollen, dann ist das auch nicht mehr als ein Form gewordener, medienkritischer Leitartikel, dessen Inhalt schon lange Konsens ist. Und das mit dem fragwürdigen Nebeneffekt, daß die Realität hier harmloser ist als sie im Medium erscheint.
Nebenbei spielen La Fura dels Baus natürlich auch mit dem eigenen, aggressiv-archaischen Live- Image, das sie sich seit Mitte der achtziger Jahre mit fleischbrocken- und flüssigkeitsreichen, mit kettenschwingenden Performances erworben haben. Die 1979 in Barcelona gegründete Truppe attackiert das Publikum jetzt nicht mehr, sondern scheucht es höchstens ein bißchen herum, damit es Platz macht für das Spiel ohne Rampe – und die Kamera: kommuniziert wird nur noch mittelbar.
Gleichgeblieben ist die martialische Haltung der zwei Frauen und sieben Männer, die mit Latz- oder Pluderhosen auf nackter Haut oder auch mit einem Brustpanzer aus Plastik durchaus funktional bekleidet sind. Sie vollziehen ihre Handlungen so zackig und stoisch, so gleichsam zähneknirschend, daß man den Eindruck hat, Galeerensträflinge durchkreuzten auf einem Aktionsschiff das Publikum.
La Fura dels Baus, Klappe die fünfte – ein ausgetüfteltes, nun steriles Ritual und seine mediale Verzerrung, rhythmisiert durch moderate Technoklänge. Im Prolog werden Frauen und Männer aus dem Publikum herausgegriffen. Man reißt ihnen die Kleider vom Leibe, stellt sie nackt auf Pappkartons. „Zufall“ steht auf der Leinwand. Stimmt natürlich nicht: Es sind Schauspieler, die auch gleich paarweise über sich herfallen, die Männer ringen miteinander, die Frauen gehen in die Knie. Darauf beginnen die drei „Spiele“ genannten Akte – szenische Kurzreferate über die Geschichte der Macht.
Smetana und Techno: Programm-Musik
Erstens: Die Entdeckung persönlicher Macht. „Bringt mir meinen Schwanz“, schreit einer und in aufwendigen und dezibelreichen Einzelhandlungen wird eine Pappmachésäule herbeigeschleppt und aufgerichtet. Der Mensch ist das Tier, das sagt: Ich will.
Zweitens: Die Entdeckung der Macht über andere. Eine Frau steckt, halbnackt, in einem von der Decke baumelnden Pappkarton – in der letzten Inszenierung, „Noun“, hing man noch in einem mit rotem Wasser gefüllten Plastikbeutel. Sie wird da herausgezerrt, bekommt ein Werkzeug aufs Gesicht gedrückt, das ihren Mund offen (und irreversibel aufnahmebereit) hält, und wird in eine Stellage gehalftert, so daß man sie bewegen kann wie eine Marionette. Sie konvertiert. Der Mensch ist das Tier, das sagen kann: Du mußt.
Drittens: Die Entdeckung staatlicher Macht. „Aus den Ruinen der alten Welt bauen wir uns eine neue Ordnung“, steht auf der Leinwand. Zwei halten obszöne Wahlreden, zwei schaukeln auf der Pappsäule und schließen dann einen Vertrag. „Brüderlichkeit“ heißt es jetzt, und die Pappkartons werden als unüberblickbare Mauer aufgeschichtet. Die Hälfte des Publikums kann den jeweils anderen Teil nur noch via Video sehen, und natürlich passiert dort nicht das, was man zu sehen bekommt. Dann geht die Mauer auf – „Überbevölkerung“: Ein Film zeigt die Schauspieler vervielfacht, sie drängen sich, die Technoklänge gehen über in einige Takte wie aus Smetanas „Moldau“ – Programm-Musik. Der Mensch ist das Tier, das in der Masse schwillt und sich verliert.
La Fura dels Baus, deren Spiel sich maschinenhaft vollzieht, zeigen jetzt ein „Konzentrationslager“. Auf der Leinwand steht abwechselnd: „Gedächtnis“ – „Wiederholung“. Jetzt könnte Schluß sein, das Ganze wäre als Ausrufungszeichen in aller Durchsichtigkeit und Trivialität doch immerhin respektabel. Aber wir sind ja im Barockspiel, und im Epilog hängt eine Frau plötzlich wieder in der Stellage. Sie zappelt. Auf der Leinwand zu lesen ist so etwas wie: „Hört auf, ich stecke schon genug in der Scheiße.“ Da hält sie inne, ruckelt ein paar Mal – und (oh Schreck!) kann sich befreien. Leinwand dunkel, Szenenende, aus.
Die Bühnenhandlung erlischt gemeinsam mit dem Film. Wenn aber verzerrte Reality-Abbildungen, Schriftzüge oder Splattervideos kein Kommentar zur Liveshow sind, sondern deren unverzichtbarer Teil, warum, um alles in der Welt, agiert La Fura dels Baus dann überhaupt noch im Publikum? Die Gruppe ist angetreten, um Theaterbesucher von ihren Plätzen zu vertreiben, um Aggressivität und Unwägbarkeit des Lebens in der Kunst nicht nur spürbar zu machen, sondern sie mit ihr zu vermischen. Nolens volens (?) haftete ihr schnell der Ruf an, selbst brutal zu sein, obwohl Brutalität ja lediglich ausgestellt werden sollte.
Die unmittelbare Performance clean zu halten und sie medial zu pervertieren, ist jedoch alles andere als ein Weg aus der Klemme. Denn so wird das Video zum eigentlicher Anlaß, und das Spiel selbst läuft ohne eigenes Bezugssystem kraftlos ins Leere. Die Wirklichkeit findet anderswo statt. Der Weg des „digitalen Theaters“ führt geradewegs in die Selbstauflösung.
Und was die Handlung betrifft: Mit dem die sorgfältig aufgezeigten Gewaltmechanismen durchbrechenden Wunder, dem Fingerzeig eines deus ex machina, der Heilsversprechung, begibt sich La Fura dels Baus auf das moralische Niveau eines Greenpeace-Werbespots: Denkt nach, haltet ein, sagt nein. Einmal durch die Welt, von der Hölle in den Himmel. Und das ist ernst gemeint, kein Witz, keine Leichtigkeit deutet auf Ironie.
Ein fragwürdiger kritischer Anspruch, eine Form, die sich selbst aufhebt und am Ende der Mystizismus der Einsicht – La Fura dels Baus, die Terrorperformer mit Weltruhm haben die archaische Kraft ihrer Bilderschlachten mit dem erhobenen Zeigefinger sterilisiert und sind zu Kitschkomödianten des Medienzeitalters geworden.
„M.T.M.“ von La Fura dels Baus mit Joana Barcia, Mia Esteve, Caroes J. Fígols, Pedro González, Doménec de Guzman, Jürgen Müller, António M. Sobral Gonçalves, Soles Velázquez, Rafel Vives und Javier Cereza (Kamera). Noch bis 25. September im Berliner Tempodrom. Die Tournee geht im Oktober in Polen und Frankreich weiter.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen