piwik no script img

Streit um Unabhängigkeit in Quebec

■ Heute Parlamentswahlen in der französischsprachigen kanadischen Provinz / Anglophone Minderheit sieht sich auf verlorenem Posten / 200.000 abgewandert

Montreal (AFP) – Die englischsprachige Minderheit in der kanadischen Provinz Quebec fühlt sich auf verlorenem Posten. Die heutigen Parlamentswahlen in der Provinz sind vom Vorsitzenden der Partei Quebecs (PQ), Jacques Parizeau, zu einer Art Volksabstimmung über die Unabhängigkeit von Kanada stilisiert worden. Und nach allen Umfragen wird die PQ mit dieser Strategie die Liberale Partei (PLQ) von Premierminister Daniel Johnson von der Macht verdrängen. Gerade deshalb werden die Anglophonen massiv für die PLQ – und damit gegen die Forderungen nach Unabhängigkeit – stimmen.

Aber die Englischsprachigen stellen in Quebec nur 650.000 von 7,2 Millionen Einwohnern. Selbst mit den 600.000 Einwohnern, für die weder Englisch noch Französisch Muttersprache ist, bleibt das demographische Übergewicht der Französischsprachigen erdrückend. Außerdem nimmt der Anteil der Englischsprachigen in Quebec seit Jahren ab. Denn die Jugendlichen aus englischsprachigen Familien ziehen in Scharen aus der einzigen französischsprachigen Provinz Kanadas fort. Das hat weniger mit dem Verhalten der frankophonen Mehrheit zu tun als mit den Verdienstmöglichkeiten. Wer in Quebec zweisprachig aufgewachsen ist, hat in den anderen kanadischen Provinzen Chancen für eine gute Karriere. Seit 1976 sind rund 200.000 Englischsprachige aus Quebec abgewandert.

Die Mehrzahl der verbliebenen englischsprachigen Quebecer lebt in der Wirtschaftsmetropole Montreal. Hier halten sie traditionell die Schlüsselpositionen in den Finanzinstituten und im Handel. Die Anglophonen haben sich in der Vergangenheit bei Wahlen zumeist für die Liberale Partei entschieden. 1989 unterstützte jedoch die Hälfte von ihnen die Equality Party (PE). Hintergrund war die Unzufriedenheit mit der PQ, die ein zentrales Wahlversprechen gebrochen hatte. Danach hätte es den Geschäftsleuten erlaubt werden sollen, zweisprachig zu werben. Aus Protest gegen das nicht eingehaltene Versprechen stimmten so viele Wähler für die PE, daß diese vier Mandate erhielt.

Heute wird der PE ein solcher Erfolg nicht mehr zugetraut. Nach Kompromissen im Sprachenstreit zerbrach die Partei. Unzufriedenheit gibt es bei den Englischsprachigen weiterhin über eine Bestimmung, nach der Einwanderer keine englischsprachigen Schulen besuchen dürfen, wenn sie weder Französisch noch Englisch als Muttersprache haben. Zusammengefaßt wird diese Gruppe unter der Bezeichnung „Allophone“. Gemeint sind Minderheiten wie Italiener, Griechen, Haitianer und Juden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen