: Versorgungsposten für einen Totengräber
■ Geplante Gesundheits-Mammutbehörde umstritten / Kritik von Bündnis 90/Die Grünen an hohen Kosten und „personellem Filz“
Die Senatsverwaltung für Gesundheit will zentralisieren: Das Landesuntersuchungsamt für Lebensmittel, Arzneimittel und Tierseuchen (LAT) und das Landesmedizinaluntersuchungsamt sollen zu einem Landesbetrieb zusammengefaßt werden. Das Vorhaben – geplante Verwirklichung zum 1. Januar 1995 – ist jedoch umstritten. Ein Organisationsgutachten, das im Auftrag von Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) für 800.000 Mark erstellt wurde, rät von dem geplanten Vorhaben ab. Ein früherer leitender Beamter des LAT befürchtet eine „Fehlentwicklung“.
Der gesundheitspolitische Sprecher von Bündnis 90/Die Grünen, Bernd Köppl, hält nicht nur die Zusammenlegung, sondern auch die Schaffung neuer Leitungsstellen und deren geplante Besetzung für eine „Fehlentscheidung“. Damit werde ein „Wasserkopf“ geschaffen. Obwohl jedes Einzelinstitut bereits eine wissenschaftliche Leitung habe, solle die Mammutbehörde eine zusätzliche Leitung erhalten. „Der Verwaltungsapparat mit drei hochdotierten Leitungsstellen und Sekretariaten verschlingt im Jahr eine halbe Million“, so Köppl. Gleichzeitig werde „unten ausgekämmt“, etwa 240 Stellen werden gestrichen.
Wie Staatssekretär Detlef Orwat von der Senatsverwaltung für Gesundheit bestätigte, sind für die Leitungspositionen die Beamten Dieter Lullies und Klausotto Günther vorgesehen. Für Köppl ist dies „filzverdächtig“. „Weil Lullies ein Vertrauter von Gesundheitssenator Luther ist und es sonst keine Verwendung für ihn gibt, soll er kaufmännischer Leiter werden“, meint er. Lullies sei auf Drängen aller Fraktionen des Gesundheitsausschusses als Geschäftsführer der Polikliniken abberufen worden. Damals sei „der Totengräber der Polikliniken“ (Köppl) von einer A15- auf eine B-Stelle hochgesetzt worden. Jetzt erhalte er einen „Versorgungsposten“.
Köppl kritisierte auch, daß der jetzige Direktor des LAT, der Verfahrenstechniker Klausotto Günther, das Marketing übernehmen soll. Wie Orwat einräumte, wird Günther hauptsächlich für das mangelhafte Arbeiten des LAT verantwortlich gemacht.
Als „ungewöhnlich“ bezeichnete Bernd Köppl die Tatsache, daß als wissenschaftlicher Leiter eine Person im Gespräch sei, die am Organisationsgutachten selbst beteiligt war. Orwat sprach hier von einem „engen Kontakt zu einer hervorragend qualifizierten Person“.
Köppls Forderung nach einer Stellenausschreibung widerspricht er. Dies sei nicht gesetzlich vorgeschrieben. Doch Köppl verweist darauf, daß eine Stellenausschreibung bei neu geschaffenen Stellen nach der Landeshaushaltsordnung zwingend sei.
Die Firma pdv Technische Automation + Systeme GmbH rät in ihrem Organisationsgutachten von der geplanten Vereinigung der Institute ab: „Durch die Zusammenlegung würde ein Großinstitut mit einer sehr heterogenen Aufgabenstruktur entstehen.“ Weil das Mammutinstitut „schwierig zu überschauen“ sei, könne es zu „Führungsproblemen“ kommen, wie sie beim LAT schon jetzt festzustellen seien. Zudem seien weder beim Personal noch bei den technischen Apparaten Synergieeffekte zu erwarten.
Im Gegenteil: Wenn wie geplant der Fachbereich Toxikologie des LAT zweigeteilt und auch räumlich getrennt wird, müßten neue Geräte angeschafft werden, die bislang gemeinsam genutzt wurden, kritisiert der pensionierte langjährige Leiter der Toxikologie, Karl-Heinz Beyer.
Er schrieb aus Sorge um eine „Fehlentwicklung“ an den Gesundheitsausschuß des Abgeordnetenhauses. Die geplante Trennung in Klinische und Forensische Toxikologie lehnt er ab, denn es handele sich um die gleichen Untersuchungen – lediglich für unterschiedliche Auftraggeber: Für Kliniken untersucht die Abteilung beispielsweise Urin- und Blutproben von Patienten mit Vergiftungen, bei ungeklärter Todesursache werden Leichen für die Gerichtsmedizin untersucht. Die Aufteilung werde zu einer „erheblichen Effektivitätsminderung“ führen, so Beyer.
Die Forensische Toxikologie soll, wie Orwat bestätigte, in das Britzer Krankenhaus verlegt werden. „Dort müssen Bettenzimmer zu Labors umgebaut werden, wogegen im LAT funktionsgerechte Laboratorien vorhanden sind“, kritisiert Beyer. „Wo ist hier der Spareffekt?“
„Das Gutachten ist gut, aber ein Gutachten ist keine Bibel“, sagt Staatssekretär Detlef Orwat. Er begründet die Aufteilung der Toxikologie damit, daß langfristig die klinische Toxikologie des LAT mit den toxikologischen Abteilungen des Virchow- und des Friedrichshainer Kankenhauses zusammengelegt werden sollen. Dadurch könnten sehr wohl Einspareffekte erzielt werden.
Durch den Umzug der Gerichtsmedizin nach Britz könnten endlich die Kapazitätsprobleme des Leichenschauhauses gelöst werden. Die Kosten für die Umbauten in Britz habe er noch nicht auf dem Tisch, so Orwat.
Unter das Dach des „Berliner Betriebs für zentrale gesundheitliche Aufgaben“ kommen unter anderem auch die Tropen- und die Umweltmedizin. In der neuen Rechtsform kann und soll der Landesbetrieb künftig auch Privataufträge aquirieren. Für die Bezirke werden die Serviceleistungen wie die Untersuchung von Boden- oder Lebensmittelproben nicht mehr kostenlos sein. Auf sie kommen laut Orwat Kosten von rund 19 Millionen Mark zu.
Die 240 Stellen, die im Zuge der Umstrukturierung eingespart werden sollen, werden auf einer Überhangliste geführt und, so ist es geplant, durch Fluktuation schrittweise abgebaut. Wie Orwat erläuterte, sollen die betroffenen MitarbeiterInnen weiterbeschäftigt werden. Dorothee Winden
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