: Hamburg - Das Abschiebetor zur Welt
■ Hamburg interpretiert das Aslyrecht extrem restriktiv / Zweithöchste Abschiebequote aller Bundesländer / Warum die Ausländerbehörde nicht Berater der AsylbewerberInnen ist
Hamburg, das Tor zur Welt – mit diesem Titel schmückt sich die Hansestadt gerne, wenn es darum geht, sich ein weltoffenes, tolerantes Image zu geben. Ein Blick auf die Ausländerpolitik läßt allerdings hinter der liberalen Fassade sehr schnell einen Eifer erkennen, der Bundesinnenminister Kanther freuen dürfte: Durch das Tor zur Welt werden immer mehr Menschen hinausgeworfen.
Bundesweit hat sich die Situation von Flüchtlingen seit der Änderung des Asylrechts verschärft. Dennoch gibt es Unterschiede in der Handhabung der Abschiebepraxis, denn diese ist Ländersache. Auch Hamburg hat darin seinen Spielraum. Genutzt wird er hier jedoch, um möglichst viele Asylbewerber auszuweisen. 1993 hatte die Hansestadt die zweithöchste Abschiebequote aller Bundesländer zu verzeichnen (siehe Kasten).
Im Vorgehen gegen Asylantrag-steller spielen sich in Hamburg das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (BAFL), Ausländerbehörde, Gerichte, Senat und Bürgerschaft gegenseitig die Bälle zu.
Der Senat hat die Möglichkeit, Abschiebestops für bestimmte Regionen zu verhängen. Im Gegensatz zu anderen SPD-regierten Ländern tut sich Hamburg damit schwer. Als beispielsweise Hessen und Nordrhein-Westfalen einen halbjährigen Abschiebestop für Kurden aus 20 Provinzen der Türkei verfügten, schloß sich Hamburg nur halbherzig an: Der Senat folgte der Definition des türkischen Generalstabs, nach der nur 10 kurdische Provinzen mit dem Ausnahmezustand belegt wurden. Hamburg reagierte als letztes SPD-Land und beschränkte seinen Abschiebestop für Kurden auf nur diese 10 Provinzen und entscheidet von Monat zu Monat neu.
Das Bundesland Hessen hat inzwischen der Tatsache Rechnung getragen, daß 20 bis 30 Prozent der neuankommenden Flüchtlinge unter 16 Jahre alt und unbegleitet sind. Es hat einen Abschiebestop für Minderjährige erlassen, wenn nicht geklärt ist, ob sich im Ankunftsland jemand um sie kümmert. In Hamburg dagegen häufen sich die Fälle, in denen Kinder abgeschoben werden. 16jährige werden in Handschellen gelegt und in Haft genommen. Offensichtlich kümmert es die Hanseaten wenig, daß bei solchen Maßnahmen gegen internationale Vereinbarungen wie das Haager Minderjährigenschutzabkommen verstoßen wird. Auch die Beugung und Brechung hiesigen Rechts wird hingenommen, wenn es sich um Ausländer handelt, wie der Fall zweier kurdischer Kinder im Alter von 12 und 13 Jahren belegt, die im Mai 1994 in die Türkei abgeschoben wurden. Sie hatten keine Gelegenheit, durch einen amtlichen Vormund einen Asylantrag zu stellen.
Die Ausländerbehörde untersteht dem Senat. Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt und kontrolliert hat sich diese Behörde in den vergangenen Jahren zu einer regelrechten Abschiebe-Institution entwickelt. In vorauseilendem Gehorsam werden dort die Wünsche des Senats in die Praxis umgesetzt.
Unverständlich bleibt, warum eine Ausländerbehörde nicht die Behörde sein kann, die Ausländern beratend zur Seite steht und dafür sorgt, daß sie zu ihrem Recht gelangen. Stattdessen tut sie alles, ihnen das Leben hier so schwer wie möglich zu machen und sie so schnell wie möglich loszuwerden. Mit Vorliebe werden Fallen konstruiert.
Wieviele Flüchtlinge beispielsweise bereits der sogenannten Zustellungsvorschrift zum Opfer gefallen sind, läßt sich allenfalls erahnen. Der Asylantragsteller ist verpflichtet, jede Adressenänderung sowohl der Ausländerbehörde als auch dem BAFL mitzuteilen. So steht es auf dem deutschsprachigen Formular, das ihm zur Unterschrift vorgelegt wird. Vielen ist jedoch nicht klar, daß es sich hierbei um zwei verschiedene Behörden handelt, zumal beide im selben Gebäude untergebracht sind. Eine der Ausländerbehörde mitgeteilte Adressenänderung wird jedoch nicht in den 3. Stock zum BAFL weitergeleitet. Diese Kommunikationsstörung zwischen den Behörden verwundert umso mehr, als andere Nachrichten, wie z.B. die Ablehnung eines Asylantrags, sehr schnell übermittelt werden.
Das Bundesamt schickt also weiterhin seine Post an die erste Adresse des Antragstellers. Wichtige Schreiben erreichen den Flüchtling auf diese Weise nicht, er versäumt Fristen und sein Antrag wird abgelehnt, ohne daß es überhaupt zu einer Anhörung gekommen wäre. Sogar die Mitteilung über die erfolgte Ablehnung erreicht den Betreffenden häufig nicht. Der nächste ahnungslose Besuch auf der Ausländerbehörde endet dann unversehens in der Abschiebehaft.
So mancher der bundesweit ca. 3.000 Insassen der Abschiebeknäste kam durch ein anderes behördliches Verwirrspiel hinter Gitter. Nach einer erfolgten Ablehnung wird der Flüchtling beim Besuch der Ausländerbehörde in die Abteilung „Aufenthaltsbeendende Maßnahmen“ geschickt. Dort fragt man ihn, ob er freiwillig ausreisen möchte. Das möchte er natürlich nicht, da er sich ja gerade um einen Aufenthalt hier bemüht. Antwortet er dementsprechend mit „nein“, wird dies von der Behörde als Bereitschaft zum Untertauchen gewertet, und er landet in Haft.
In der Abschiebehaft verbleibt der Abgelehnte bis zur Beibringung der notwendigen Ausreisepapiere. Die Behörde hat das Recht, ihn bis zu 18 Monaten einzusperren. (Zum Vergleich: eine „normale“ Untersuchungshaft ist auf maximal ein halbes Jahr beschränkt.) Sind keine Reisedokumente zu bekommen, versucht man, den Flüchtling auch ohne Papiere in sein Herkunftsland oder in eines, das die Behörde dazu erklärt, abzuschieben. Daß auch mit Minderjährigen so verfahren wird, belegt der Fall des 16jährigen Samba aus Sierra Leone, der am 22. Juni 94 ohne Benachrichtigung seines Vormunds in sein Herkunftsland geflogen wurde. Die dortigen Grenzer schickten ihn umgehend zurück. Damit gehört auch er zur großen Gruppe der sogenannten „refugees on air“, die zwischen den Ländern hin- und hergeschoben werden.
Vor einer Abschiebung wird nicht noch einmal geprüft, ob es Hinderungsgründe gibt, die einer Abschiebung im Weg stehen. Auf diese Einzelfallprüfung verzichtet die Hamburger Ausländerbehörde bewußt.
Bedauerlicherweise wird die rigide Abschiebepolitik des Senats und der Ausländerbehörde von den Gerichten der Stadt flankiert. Wiederholt revidierte das Bundesverfassungsgericht (BVG) Urteile aus Hamburg. Der Türke Kerim Baran saß bereits in Abschiebehaft. Hätte sein Anwalt nicht das BVG angerufen, wäre er längst abgeschoben worden, und seine Partnerin mit dem gemeinsamen 4 Monate alten Kind wäre allein. Im Unterschied zum Oberverwaltungsgericht war dem BVG der Schutz der Familie wichtiger als das Ausländerrecht. Damit entschied es, daß das Grundgesetz auch für Ausländer und deren Familien gilt – auch wenn sie nicht verheiratet sind.
Arbeitskreis Asyl
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