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Kein einziges kritisches Wort

■ betr.: taz-Thema Anthroposophie, taz vom 10.9.1994

Fünf Seiten für die Anthroposophie und kein kritisches Wort. Kein Wort über die rassistische und antisemitische Wurzelrassentheorie von Steiner. Kein Wort darüber, daß Steiner im Jahre 1919 vom Großkapital dafür bezahlt wurde, vor den Fabriktoren gegen die soziale Revolution zu predigen. Kein Wort über Kontakte der Anthroposophie zum Neo- und Ökofaschismus. Kein Wort darüber, warum gerade die Bonzen und das BildungsbürgerInnentum ihre Kids in Waldorfschulen schicken. Kein Wort darüber, warum diese erst 1937 gleichgeschaltet wurden, und nicht wie die Montessori- Schulen schon 1933. Kein Wort über den Selbsthilfeverein von Waldorfschulgeschädigten, und warum es ihn gibt. Kein Wort über ... Jürgen Mümken, Kassel

Daß die taz vollkommen unkritisch über die Anthroposophie und ihre Aktivitäten berichtet, hat mich sehr überrascht und auch geärgert. [...] Die Schattenseiten gerade der Waldorfpädagogik, die auf dem anthroposophischen Menschenbild gründet, sind in einigen sehr anschaulichen Publikationen veröffentlicht: z.B. Charlotte Rudolf: „Waldorfpädagogik. Wege zur Versteinerung“, Luchterhand Verlag; oder: Martina Kayser/ Paul Albert Wagemann: „Wie frei ist die Waldorfschule“, Ch. Links Verlag.

Kritiker haben es schwer, in die Öffentlichkeit zu gelangen. Die anthroposophische Lobby ist stark [...]. Gerade Themen wie Abtreibung, Homosexualität, Emanzipation der Frau, sexuelle Aufklärung bei Kindern werden in der Anthroposphie in einer Weise behandelt, die stark an die Moral der katholischen Kirche erinnert. Recherchiert mal! Heike Melianis

[...] Die Anthroposophie als Elitekultur hat einen sehr starken gesellschaftlichen Einfluß und wird von vielen goutiert, die nach alternativen Wegen suchen. Nach außen wirkt dann diese Kultur heilend, rosa und lila. Aber wer hat schon die Muße und die Konzentration, sich mit dem umfassenden, hochkomplizierten Werk R. Steiners genauer zu befassen [...]? Wer wagt es, hinter die rosa- und lilafarbenen Eurythmieschleier zu blicken, um in den anthroposophischen Ausbildungs- und „Heilstätten“ Brutstätten für den höheren Menschen zu erkennen, der selbstverständlich seine Höherwertigkeit nur im Vergleich mit seelenlosen „Untermenschen“ erkennen kann?

Man muß schon eine gewaltige Stange Geld investieren, um in den Kreis der Elite aufgenommen zu werden und um dann die wahren Ziele der Anthroposophie, die in direkter Linie mit der Theosophie und den Freimauerlogen verwandt ist, zu erkennen. Denn von dort aus wird der heilige Krieg die die beiden Widersacher Luzifer und Ahriman, gegen alles was nicht anthroposophisch ist und gegen die eigenen, auf andere Menschen projizierten „niederen Triebe“ geführt. Wer diesem Kampf nicht gewachsen ist, wird der dem nordisch-germanischen Menschen untypischen „Ich-Schwäche“ bezichtigt, und landet nicht selten mit psychosomatischen Erkrankungen und Psychosen in einer anthroposophischen Heilstätte, was wiederum den Bedarf an anthroposophisch ausgebildeten Arbeitskräften fördert.

Ja, vieles ist für europäisches Bildungsbürgertum sicherlich schön und bemerkenswert in der anthroposophischen Bewegung. Aber dieses geistige Licht wirft die Schatten geistiger Umnachtung auf diejenigen, die als Projektionsflächen und stepping stones für die Höherentwick(e)lung der „nordisch-germanischen Ich-Menschen“ herhalten müssen, und ist der Nährboden für die „wissenschaftliche“ Qualifikation z.B. einer Charlotte Höhn und den brennenden Früchten einer solchen Denkungsart. Susanne Oppong,

Kultur-Fabrik, Bebra-Iba

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