: „Ich nicht. Ehrlich!“
n Eine der ersten Fertigkeiten, in denen mich meine Mutter, Schauspielerin und Abkömmling einer alten Schauspielerfamilie, unterwies, war das höfliche Abwimmeln von Gerichtsvollziehern. Sie verdiente wirklich nicht schlecht, vergaß aber regelmäßig, die Einkommensteuer zu entrichten. Später lernte sie einen netten Herrn kennen, der das für sie besorgte. Aber zu diesem Zeitpunkt hatte sich die schädliche Auffassung, daß Geld dafür da ist, sofort und restlos ausgegeben zu werden, bei mir schon festgefressen. Als sie allzu früh starb, erbte ich von ihr eine Hornbrille mit zu schwachen Gläsern, einen Haufen schöner Fotografien und ein Achtel eines Feriendomizils, das ich aus den Augen verloren habe.
Mein Vater war von anderem Schlag. Er war Hanseat, Anwalt, Unternehmer und erfolgreich bei den Damen wie in den Geschäften. Mit Karl Marx' höhnischer Aufforderung an die Bourgeoisie: „Akkumuliere, akkumuliere, das ist Moses und die Propheten“ scheint er es allerdings nicht so genau genommen zu haben. Er brachte sein Geld entschlossen unter die Leute und selbst wenn ich, der einzig mißratene unter seinen zahlreichen Sprößlingen, zu einem meiner seltene Besuche antrat, zog er schließlich das Scheckbuch — mit verschmerzter Miene. Als er starb, hatte er es irgendwie fertiggebracht, nichts Bares zu hinterlassen, zumindest nichts, worauf ich hätte den Finger legen können. Selbst für einen cleveren Wirtschaftsprüfer wie ihn ein beachtliches Manöver.
Ich hatte nichts anderes erwartet, wohl aber die interessierte Öffentlichkeit. Sie konnte sich einfach nicht damit abfinden, daß der maoistische Sohn eines christlich-sozialen Millionärs nicht das Schwarze unterm Fingernagel eingesackt hatte. Kaum war mein Vater unter der Erde, wurde deshalb ein Gerücht lanciert, das mich die nächsten 15 Jahre getreulich begleitete: Ich hätte zwölf Millionen geerbt und sie umgehend in unser linksradikales Unternehmen eingebracht. Zuerst war ich wütend und bemühte die Anwälte gegen Spiegel und Stern. Als aber selbst die chinesischen Genossen mich zu meiner Selbstlosigkeit beglückwünschten, gab ich auf.
Betuchte Bekannte gaben mir augenzwinkernd zu verstehen, daß ich die zwölf Millionen wohl für einen linken Ablaßzettel eingetauscht hätte – um mich des eigentlichen Erbes, unbelastet von revolutionären Gewissensbissen, desto ungestörter zu erfreuen. Sie hielten mich für einen Exzentriker. Ich begann, ihre Gesellschaft zu meiden. Was mich wirklich störte, war die Meinung linker Arbeiter zu meinen Finanzen: Sie hielten mich schlicht für einen Trottel.
Mit dem Niedergang der linksradikalen Organisationen ließ das Interesse an meiner Vermögenslage ziemlich nach. Kein Mensch geht mich mehr um einen kleinen Kredit an, und die Banken zeigen sich gegenüber meinen eigenen Kreditwünschen verschlossen. All das ist ziemlich erfreulich.
Immer schon hat mich diese Schatzbildnermentalität angeödet, dieses Glitzern in den Augen, wenn's um Zahlen und Prozente geht. Und immer hat mir die Haltung des Barons von Wolzogen gefallen: Mit seinem letzten Geld mietete er ein Luftschiff und warf aus großer Höhe Handzettel ab. Auf ihnen stand zu lesen: „Ich grüße Berlin!“ Christian Semler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen