: Die Ochsentour nach oben
■ Ahmet Iyidirli, Bundesvorsitzender der Föderation der Volksvereine türkischer Sozialdemokraten (HDF), über die Brückenfunktion der HDF
taz: Der Name Ihrer Organisation deutet auf die Absicht, alle denkbaren politischen Strömungen unter einen Hut zu bringen. Wen vertreten Sie tatsächlich?
Ahmet Iyidirli: Sie haben recht, die Bezeichnung hört sich, zumindest im Deutschen, etwas merkwürdig an. Früher trug die Organisation einen anderen Namen. Die Änderung hat sich aus organisatorischen und inhaltlichen Gründen ergeben. Die Föderation der Volksvereine türkischer Sozialdemokraten (HDF) vertritt türkische Sozialdemokraten in Europa. Sie ist der Zusammenschluß von Vereinen, die Anfang der siebziger Jahre im Zuge der politischen Polarisierung in der Türkei in einigen Ländern Europas wie Deutschland, Dänemark, Frankreich, Österreich und der Schweiz entstanden waren. Die Initiatoren dieser Vereine waren Mitglieder oder Sympathisanten der Partei Ecevits, die das Ziel hatten, die Partei vom Ausland aus zu unterstützen. Später haben sich diese Vereine verselbständigt. Im Oktober 1977 haben sich Vertreter von 19 sozialdemokratischen Vereinen in Berlin getroffen und die HDF gegründet.
Die HDF ist also keine Europafiliale der Partei Ecevits?
Nein, absolut nicht. Wir sind völlig unabhängig. Es hat auch nie seitens der Mutterpartei Versuche gegeben, auf unsere Organisation Einfluß zu nehmen. Wir haben zur sozialdemokratischen Bewegung in der Türkei ein solidarisches Verhältnis, betrachten sie aber gleichzeitig mit kritischen Augen.
Viele meinen, die HDF sei eine türkische Version der SPD, die als parteinahe Organisation die Aufgabe hat, unter den türkischen Migrantinnen und Migranten für die SPD zu werben.
Auch das ist ein Irrtum. Wir haben gute Kontakte zur SPD. Viele unserer Mitglieder gehören gleichzeitig der SPD an. Als Sozialdemokraten besteht zwischen uns und der SPD eine ideologische Verwandtschaft, auch eine enge Zusammenarbeit. Das bedeutet aber nicht, daß wir die türkische Zweigstelle der SPD bilden.
So irrtümlich scheint die Meinung doch nicht zu sein. Denn was Sie da schildern, ist von der Beschreibung einer Zweigstelle nicht so weit entfernt. Es bleibt nur die Frage, wie Sie die ideologische Verwandtschaft aufrechterhalten, wo es doch bei der SPD so viele ideologische Purzelbäume gibt.
Wir sind durchaus nicht mit allen Entscheidungen der SPD einig. Nehmen Sie zum Beispiel die Position der SPD gegenüber der türkischen Regierung oder ihr Verhältnis zu den Kurden. Unserer Ansicht nach ist sie fehlerhaft und undifferenziert, sowohl inhaltlich als auch taktisch. Gerade durch diese Politik hat die SPD eine ganze Menge an Sympathisanten unter den türkischen Migranten verloren.
Wie werden türkische Mitglieder innerhalb der SPD behandelt?
Ausländische Mitglieder haben es in der SPD nicht leicht. Sie werden immer noch als Fremdkörper betrachtet. Es wird sicherlich noch eine Zeit dauern, bis man sie tatsächlich als gleichberechtigte Mitglieder akzeptiert. Hinzu kommt der Umstand, daß die Parteistruktur der SPD äußerst kompliziert ist. Um in der Parteihierarchie weiter nach oben zu gelangen, muß man Ochsentouren fahren. Ausländische Mitglieder sind zumeist Einzelkämpfer, mitten auf der Strecke geht ihnen die Puste aus. Kein Wunder, daß in den obersten Rängen weit und breit kein Ausländer zu sehen ist. In der SPD ist es nicht anders als in der gesamten deutschen Gesellschaft. Vollassimilierte Migranten kommen leichter voran. Wer jedoch seine kulturelle Identität bewahren will, muß die doppelte und dreifache Kraft aufbringen, um aufsteigen zu können.
Worauf richten sich die Ziele Ihrer Organisation, auf die Türkei oder auf die Bundesrepublik?
Wir konzentrieren uns in erster Linie auf die in Deutschland lebenden Migrantinnen und Migranten. Gleichzeitig sind wir selbstverständlich bemüht, unsere kulturelle und auch wirtschaftliche Beziehung zur Türkei aufrechtzuerhalten. Von dieser Brückenfunktion kann auch die Bundesrepublik und insbesondere die SPD profitieren. Es geht schließlich ja auch um Hunderttausende von potentiellen Wählern, um deren Sympathie man werben muß. Interview: Bahman Nirumand
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