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Mit freundlichen Grüßen

■ Eine Leserzuschrift rüttelte uns wach: Ist die klassische Medienkritik auf dem Holzweg? / taz-Leser Dieter P. zu "Verschwunden im Bermuda-Dreieck", N3

Am 13. September 1994 zeigte das N3-Wissenschaftsmagazin „Prisma“ von uns unbeachtet den Beitrag „Verschwunden im Bermudadreieck“. Wenige Tage später erreichte uns die Leserzuschrift von Dieter P. Wir drucken seine TV- Kritik im vollen Wortlaut ab. Muß sie als Vorbote eines Paradigmenwechsels in der Medienkritik gesehen werden – hin zu einer ganz neuen, holistischen Sichtweise?

Sehr geehrte Damen und Herren,

keine Angst, dies ist nicht wieder einer dieser blöden offenen Briefe an den Großen und seinen Spargeltarzan in Bonn. Diese Herren habe ich schon abgeschrieben, zumal diese arroganten Schnösel es nicht für nötig hielten, überhaupt einen meiner Briefe zu beantworten. Mit dem Artikel, der diesem Brief beiliegt, möchte ich einmal dem öffentlich-rechtlichen Fernsehen mein Lob aussprechen. Wenn Sie finden, daß dieser Beitrag einen Abdruck Wert ist, so überweisen Sie mir bitte ein angemessenes Honorar auf das untengenannte Konto. Ansonsten werfen Sie ihn einfach weg.

Mit freundlichen Grüßen

Ihr Dieter P.

Es war wieder einer dieser üblichen Abende. Erst spät kehrte ich meinem Computer den Rücken zu. Ich wollte nur noch eins: ENTSPANNEN. Also suchte ich bei den Privaten nach einem schön aktionsreichen Knall-Bums-Fick- mich-Film. (Diese Filme stellen keine große intellektuelle Herausforderung dar, und die permanenten Explosionen, Schießereien etc. verhindern bei mir erfolgreich das Einschlafen.) Aber ich fand nur WERBUNG. Diesem Zufall ist es zu verdanken, daß ich zu den öffentlich-rechtlichen Sendern zippte. Bei vielen Sendern fand ich nur irgendwelche Köpfe, die wegen Wahlkampfs ihre Phrasen zu irgendwelchen politischen Fragen breitlatschen durften (GÄHN). Also zippte ich weiter, bis zum N3.

Als ich dort zuschaltete, berichtete gerade Berlitz über seine Erlebnisse im Bermuda-Dreieck. „Oh“, dachte ich, „da wollen die Fernsehleute wohl wieder einmal eine Geschichte à la ,Das Ungeheuer von Loch Ness‘ zum besten geben.“ Das erschien mir interessant, auch wenn ich keine tiefgründigen Erkenntnisse erwartete. An diesem Punkt sollte ich mich gewaltig täuschen.

In der Sendung wurde in didaktisch hervorragender Weise eine neue wissenschaftliche Hypothese, die die Beobachtungen im Bermudadreieck plausibel erklären kann, fernsehgerecht aufbereitet. Im Kern basiert die Hypothese darauf, daß Schiffe auf Grund der geringeren Dichte in einem Wasser- Gas-Gemisch untergehen müssen. (Dies kann man zu Hause leicht nachvollziehen, wenn man in der Badewanne unter einem Modellschiffchen plötzlich die Luft aus einem aufgeblasenen Luftballon rausläßt.) Die Gasbildung im Meer kann durch Gashydrate erklärt werden, welche nur unter bestimmten Temperatur- und Druckbedingungen stabil sind. (Ähnlich wie die Luft beim Schwamm, so wird bei Gashydrat auf molekularer Ebene ein Gasmolekül von den Wassermolekülen in einer eisähnlichen Struktur eingeschlossen.) Bei Erdrutschen am Meeresboden werden die dortigen Druckbedingungen geändert, die Gashydrate zerfallen, und das Gas wird freigesetzt. (Ähnlich wie beim Schwamm unter Wasser die Luft erst beim Pressen freigesetzt wird.)

In dem Beitrag wurde, und das hat mir besonders gefallen, die Theorie Stück für Stück entwickelt, und die Implikationen wurden offengelegt. Diese wissenschaftliche Sauberkeit vermisse ich schon lange bei den etablierten Wissenschaftssendungen, wie zum Beispiel bei „Abenteuer Forschung“ (oder wie verblödet man Zuschauer) oder bei der „Knoff- Hoff-Show“ (Physikalische Kabinettstückchen eines Kaiser-Wilhelm-Verschnitts). Dieser Beitrag hat nach meiner Meinung im Regionalprogramm nichts verloren, sondern er hätte einen Platz im Ersten Programm verdient gehabt. Dafür könnte man zum Beispiel auf eine politische Sendung verzichten. Schließlich besteht das Leben nicht nur aus Politik, oder? Und auch die Politik kann die Naturgesetze nicht aufheben.

Außerdem ist diese Theorie politisch brisant, da gezeigt wird, daß nicht nur Stürme, sondern auch ganz andere Faktoren die Schifffahrtswege gefährden. Die internationale Gemeinschaft müßte als Konsequenz, um das Leben der Matrosen sicherer zu machen, neue Frühwarnsysteme einrichten, die natürlich von der Schiffahrt zu bezahlen sind. Die Benutzung der Weltmeere wird dadurch kostenpflichtig, und mit steigenden Transportkosten werden auch die Rohstoffe teurer. Durch die Verteuerung der Rohstoffe werden die Industrienationen als Großverbraucher zu einer effektiveren Rohstoff- und Energienutzung gezwungen. Gleichzeitig geht also der Energieverbrauch zurück, da auch Erdöl ein Rohstoff ist.

Die Theorie eröffnet also den Weg zu einer sozialeren, ökologischeren und ökonomischeren Weltwirtschaft. Diese Implikationen sind politisch brisanter als die Parolen der Verwaltungsgrößen Kohl und Scharping, oder?!!

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