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Realitätsverlust beißt

Schalke 04 – 1. FC Köln 3:1 / Mehr Gefahr als von ihren Gegnern droht den Gelsenkirchenern auf wirtschaftlichem Gebiet  ■ Aus Gelsenkirchen Thomas Lötz

Gerade zehn Minuten waren vergangen, als ein Mann in leichter Daunenjacke auf der Pressetribüne des Gelsenkirchener Parkstadions zu seinem Nachbarn sprach: „Wenig bewegen, viele Punkte machen.“ Dabei handelte es sich nicht nur um eine treffende Beschreibung des Spiels der Schalker gegen den 1. FC Köln in der ersten Halbzeit (wenig Bewegung), sondern auch um eine in ihrer Rätselhaftigkeit passende Charakterisierung der zweiten 45 Minuten (große Verwirrung, mit deutlicher Bewegungssteigerung). Worte also, für die das Daunenjackenorakel im nachhinein vollsten Respekt verdient.

Nachdem 39.570 Zuschauer eine trotz zweier gerecht verteilter Tore dem ursprünglichen, spaßvermittelnden Sinne des Spiels nicht entsprechende Halbzeit in stiller Demut erduldet hatten und aus der Daunenjacke heraus zu vernehmen war, ihr Träger brächte das Spiel bestenfalls als Kurzmeldung, änderte sich im zweiten Abschnitt doch noch ein bißchen was auf dem Platz. Vor allem die Kölner kamen jetzt besser ins Spiel, entwickelten sogar so etwas ähnliches wie Druck und konnten binnen dreizehn Minuten das 0:3-Eckenverhältnis ausgleichen. „Wir hatten das Spiel einigermaßen im Griff“, sagte Morten Olsen hinterher (mit deutlicher Betonung auf „einigermaßen“). Und hätte Stefan Kohn nach einer Steinmann- Ecke den Ball ins Tor gespitzelt statt darüber, wäre das Spiel wohl entschieden gewesen.

So aber kam es anders. Köln knickte physisch und psychisch komplett weg, und Schalke kämpfte sich noch einmal und überraschend zurück ins Spiel, wobei den Gastgebern das katastrophale Kölner Kurzpaß-, genauer gesagt: Kurzfehlpaßspiel mächtig half. Und einen der etlichen Knappen-Konter köpfte Youri Mulder nach simplem Doppelpaß mit Uwe Scherr und dessen genauer Flanke völlig freistehend aus kurzer Distanz zum 2:1 ins Tor, wobei Kölns Abwehr stark an einen Thekenmannschafts-Torso erinnerte.

Während die Kölner Hooligans unmittelbar nach dieser Führung für Schalke auf der Fläche hinter der Gästekurve ein intensives Gruppenjogging mit der Polizei initiierten und es auch auf dem Platz gröber und gröber zuging, tauchte plötzlich erneut Ingo Anderbrügge im Kölner Strafraum auf, tunnelte Frank Greiner und flankte in die Mitte, wo Youri Mulders Kopf erneut zur Stelle war – 3:1. Dachten alle. Aber Schiedsrichter Manfred Schmidt (weitaus weniger berühmt pfeifend, als die Eisenquellen seiner Heimatstadt Bad Hersfeld sprudeln) stolzierte im Gebaren großer Männer in Richtung Kölner Tor und blieb, auf den Elfmeterpunkt zeigend, stehen. Er wollte ein Handspiel Greiners beobachtet haben, das allerdings sonst niemandem aufgefallen war. Der vermeintliche Übeltäter jedenfalls vermutete, Herr Schmidt habe seinen weißen Unterarmverband mit dem Ball verwechselt. So hämmerte „IN!-GO!“ Anderbrügge zum 3:1-Endstand ein, und Schalke hatte sein erstes von drei bisher absolvierten Heimspielen gewonnen.

Dafür hat der neue erste Vorsitzende, ein gewisser Helmut Kremers, der in dieser Eigenschaft sein Heimspieldebüt gab, jede Menge andere Probleme am Hals. Kurz nach dem Spiel bestätigte der Vorsitzende des Verwaltungsrats, Jürgen Möllemann, daß „einzelne Mitglieder und Förderer des Klubs Bürgschaften in bedeutender Höhe aufgekündigt“ haben. Da dies den finanziellen Handlungsspielraum stark einschränke, seien auch die Interessen des Vereins gegenüber dem DFB hinsichtlich der Lizenz berührt. Außerdem, so Möllemann, habe man sich in der gemeinsamen Sitzung von Verwaltungsrat und Vorstand „mit vorhandenen und verschwundenen Verträgen“ beschäftigt. Der FDP- Politiker, der im Interesse des Klubs mit dem neuen Vorstand zusammenarbeiten will, möchte das Thema ausgeräumt wissen. Möllemann kündigte an: „Wir werden die Staatsanwaltschaft einschalten.“

Es geht um eine getilgte Klausel aus dem Managervertrag von Helmut Kremers, der sich im Parkstadion allerdings darauf beschränkte, seine Freude über den Sieg zu äußern: „Es war ein ganz tolles Spiel. Ich war happy.“ Sieht eigentlich wie immer aus in Schalke. Sieht aus wie Siebert, Eichberg oder Tönnies. Sieht aus wie ... Realitätsverlust.

1. FC Köln: Illgner - Rolff - Weiser, Higl - Steinmann, Hauptmann, Rudy, Andersen (69. Greiner), Janßen, Labbadia, Polster (46. Kohn)

Zuschauer: 39.570

Tore: 1:0 Anderbrügge (15.), 1:1 Hauptmann (24.), 2:1 Mulder (66.), 3:1 Anderbrügge (75./Foulelfmeter)

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