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Besser als Weltraumherpes

■ Und komisch ist es trotzdem: „Das Kondom des Grauens“, der Puppenkistenabklatsch von Ralf Königs Schwulen-Comic erfreut die Tage das multisexuelle Bremer Publikum

Seit Ralf König den Zeichenstift schwingt, wissen wir, daß auch Heteros über schwule Comics lachen können. Seit Peter Jacksons Muppet-Trash-Film „Meet the Feebles“ wissen wir, daß Puppenspielereien nicht immer Kinderkram sein müssen. Im „Kondom des Grauens“ kommt nun eins zum anderen: Nach Ralf Königs gleichnamigem Comic inszenierte Claus Vincon eine überlebensgroße Puppenkiste für eine multisexuelle, erwachsene Zielgruppe. Das grauenhafte Kondom ist seit Dienstag im Bremer Schlachthof zu sehen.

Im Sündenpfuhl New York werden die Anhänger käuflicher Liebe ihres Lebens nicht mehr froh. Ein bissiges Kondom treibt sein Unwesen im Hotel Quickie, und wo es seine Zähne am liebsten hineinschlägt, kann sich nicht nur Mann leicht vorstellen. Aufklärung des Falles naht in Gestalt des Detectives Mackeroni. Er ist einer dieser abgebrühten, unrasierten Cops in Sonnenbrille und Trenchcoat, die stets zerknirscht durch den Regen schlendern und Rache für ihren Partner schwören, der zwei Tage vor seiner Pension von irgend einem miesen Schwein erschossen wurde. Entgegen dem Klischee lebt sein Partner Sam zwar noch, aber Mackeroni hat zumindest den Verlust seines rechten Hoden zu beklagen. Kann dem Kondom das Handwerk gelegt werden? Wird Mackeroni dem sanften Stricher Bill seine Liebe eingestehen? Bekommt Mackeronis Verflossener seine Geschlechtsumwandlung?

Für die Antworten lohnt sich ein Besuch des Stücks in der Schlachthof-Kesselhalle. König selbst verfaßte das Skript und entwarf das clevere Bühnenbild, das durch simple Drehungen der Einzelteile verschiedenste Szenarios von Straßenstrich bis zu diversen Innenräumen darstellt. Die Latex-Puppen werden von schwarzgewandeten Puppenspielerlnnen so geschickt bewegt, daß man fast von schauspielerischen Leistungen reden kann. Selbst kleine Gesten geraten zu großer Komik. Aber meistens setzt Claus Vincons Inszenierung nicht auf kleine Gesten, sondern auf groben Splatter und kreischigen Sex. Dies mag berechenbar sein, komisch ist es trotzdem. Dafür sorgt schon die groteske Unverblümtheit, mit der Mackeroni blutige, phallische Beweisstücke durch die Gegend schwenkt und energisch der Knabenliebe frönt.

Wer schonmal einen amerikanischen Polizeifilm gesehen hat, kann sich außerdem über die sorgfältige Aufbereitung sämtlicher Genre-Konventionen amüsieren. Auch formal orientiert man sich eher am Film als am traditionellen Theater oder Comic. Einen Titelvorspann gibt es ebenso wie einen peitschenden Soundtrack á la Jan Hammer komplett mit schwülstiger Liebesballade, zu der die Protagonisten melancholisch durch die nebelige Nacht schleichen. Und das zahnbewehrte Kondom ist wohl das süßeste Monster seit dem „Weltraumherpes“ aus der Sci-Fi-Filmparodie „Krieg der Eispiraten“.

Was ein rein kommerzielles Anhängsel zum Comic-Erfolg hätte werden können, stellt sich heraus als ein durchaus eingenständiger Boulevard-Klamauk aus Blut, Sperma und liebevollen Homagen.

Andreas Neuenkirchen

Noch bis Sa. tägl. 20.30 Uhr im Schlachthof, Findorffstr. 51

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