: Den lieben Gott nicht vereinnahmen -betr.: Leserbrief zu "Keine Feier für einen Christen", taz vom 23.9.94
Betr.: Leserbrief zu „Keine Feier für einen Christen“, taz vom 23.9.
Ich freue mich über die Entscheidung von Kirchenpräsident Heinz Hermann Brauer, nicht am Gottesdienst in der Ansgarii-Kirche zum Tag der deutschen Einheit teilzunehmen. Dazu gehört Mut, da der Stimmungstrend in der Politik parteiübergreifend in eine andere Richtung zielt.
Meines Erachtens sollten beide Kirchen auf diesen Fest-Gottesdienst verzichten. Die Trennung von Staat und Kirche ist ein historischer Fortschritt, dies sollte auch am Tag der deutschen Einheit gelten. Allerdings neigten Herrschende/Regierende immer schon dazu, ihren politischen Handlungen durch die Anwesenheit religiöser Würdenträger eine vermeintlich höhere Weihe zu geben. Der Wunsch nach dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik war aber von höchst weltlichen Motiven geprägt: der Wunsch nach den Konsumverheißungen der D-Mark bei vielen Ostdeutschen und das parteipolitische Machtkalkül bei westdeutschen Politikern spielten eine große Rolle, begleitet von Illusionen und momentanem Gefühlsüberschwang hüben wie drüben. Der liebe Gott war nicht im Spiel – und man sollte ihn nicht durch einen Festgottesdienst nachträglich vereinnahmen.
Walter Ruffler, MdBB
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