Lokalkoloratur

Solche wie sie sind viel zu selten gewesen in diesem Land, und auch heute wären mehr nötig. Menschen, die sich nicht vermeintlichen Zwängen unterordnen, scheinbar Selbstverständliches nicht einfach hinnehmen, sondern öffentlich hinterfragen und streiten – und vor allem handeln. Dorothee Sölle, Theologin und Schriftstellerin, hat die gesteckten Grenzen, die ihrer Generation, ihrem Geschlecht und ihrem Beruf vorgegeben waren, überwunden, um ihre Vorstellungen von Menschlichkeit, Gerechtigkeit und Frieden kundzutun und zu leben. Ob vor dem US-Raketendepot in Mutlangen, dem Atommeiler in Brokdorf oder dem US-Giftgaslager in Fischbach: Die vierfache Mutter bewegte sich stets ganz vorne in der Friedensbewegung. Ihre Unerschrockenheit sowohl bei Sitzblockaden als auch in ihren Büchern, in denen sie eine Art „atheistischen Glauben an Gott“ propagiert, gefielen oft weder Staat noch Kirche. Heute hingegen, wo Kalter Krieg und Ostfeind nicht mehr sind, kommen andere Töne von den Offiziellen. Zu ihrem heutigen 65. Geburtstag wird Dorothee Sölle auch vom Hamburger Senat geehrt – glücklicherweise nicht mit einer Medaille, sondern mit der Ehrenprofessor-Würde.

ch