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Fassade gut, alles gut?

■ Sozialarbeit im Mistralbunker wird reduziert/ Anwohner-Initiative fürchtet mehr Terz Von Sannah Koch

Er sieht aus wie ein renovierter Bunker: Das schmutzige Braun der Fassade wirkt durch die sparsam aufgetragenen Farbquadrate nicht weniger trostlos – es ist halt nur ein renovierter Bunker. Und trotzdem: Mit der nun fast abgeschlossenen Instandsetzung des Gebäudes in der Mistralstraße, das seit Kriegsende als Wohnhaus genutzt wird, haben sich einige zaghafte Verbesserungen für die Bewohner eingeschlichen.

Das einst völlig verwahrloste Junkie-, Punker- und Alkoholiker-Ghetto bekam neue Farbe, neue Klos, Duschen und Heizungen. Und für die vergangenen anderthalb Jahre des Umbaus auch drei Sozialarbeiter. Doch wie so häufig reicht Bürokraten und Politikern das gesäuberte Äußere aus: Umbau fertig, Sozialarbeit reduzieren, lautet nun die Devise für den Mistralbunker.

Sozialer Brennpunkt – wenn, dann hat dieser Begriff in dem verkommenen Gebäude eine Berechtigung. Gebrannt hat es hier zwar selten, dafür werden die Probleme aber häufig mit Alkohol ertränkt oder Drogen erstickt. Rund hundert Menschen mit ruinierter Gesundheit und geringer Zukunftsaussicht wohnen hier; bis vor zwei Jahren ohne warmes Wasser, mit stinkenden Müllbergen vor der Tür und den Klos in einem separaten Raum außerhalb der Wohnung. Dann entschied sich die Stadt vor zwei Jahren, für Renovierung rund drei Millionen Mark zu investieren und dem Verwalter des Gebäudes, dem Arbeiter Samariter Bund (ASB), aus dem Haushalt drei Sozialarbeiterstellen zu spendieren.

In diesem Sommer wurde ruchbar, daß die Sozialbehörde nach Abschluß der Bauarbeiten im Oktober das Geld für zwei Zweidrittel-Stellen wieder einsparen will – das empörte bereits im Juni die Altonaer Bezirksversammlung. Sorgenfalten treibt diese Sparverordnung aber auch anderen auf die Stirn – der Bürgerinitiative Paulsenplatz oder den vor Ort tätigen Sozialarbeitern zum Beispiel.

Daß die Stellenstreichung für die Anwohner „unzumutbare und gefährliche Auswirkungen“ zur Folge haben könnte, beklagte die Initiative in einem Brief an die Leiterin des Amts für Soziales und Rehabilitation, Elisabeth Lingner. Die modifizierte unterdessen ihre Anodrnung: Jetzt werden ab Oktober nur 30 Wochenstunden Sozialarbeit gestrichen, die zweite Stelle bekam eine Fristverlängerung bis Ende 1996.

Mit Euphorie reagierten die Sozialarbeiter dennoch nicht. „Uns läuft jetzt schon oft die Zeit weg“, sagt ASB-Sozialarbeiterin Edie Reese. Jeden Mittwoch Frühstück, donnerstags Bewohnertreff, geplant sind eine Koch-Gruppe und gemeinsame Freizeitaktivitäten; wer dies allerdings begleiten soll, ist offen. „Vermutlich werden die Leute denken, die sind eh nie da“, fürchtet Edie Reese.

Volltreffer. Zwar nehmen die Bewohner die Verbesserungen zur Kenntnis, doch die Einsparung wird eher mit Achselzucken kommentiert. Was werden wird? Das wissen auch die Sozialarbeiter nicht. Vielleicht hat sich die Lage stabilisiert, vielleicht wird es wie vorher. Nachher ist man bekanntlich immer schlauer.

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