Zwischen den Rillen
: Der Lennon in dir

■ Revoltenpatchwork aus England: Oasis und Manic Street Preachers

In England ticken die Rock-'n'Roll-Uhren immer ein wenig anders. Natürlich landeten auch dort kürzlich, wie überall, R.E.M. auf den Deckblättern der maßgeblichen Magazine. Aber seit jeher wird auf den Inseln vor allem die eigene Brut maßlos abgefeiert, ist eine Band mit gerade mal ein, zwei smashenden Seven-Inchs schon der Knüller des Jahrzehnts.

Oasis widerfuhr das ebenfalls: Seit ihrer ersten Single „Supersonic“ registrieren die Blätter jeden ihrer Fürze, und ihr jetzt erschienenes Album „Definitely Maybe“ ziert seit seinem Erscheinen auch die Pole-Position der kommerziellen Charts – vor Pavarotti, Prince und Wet Wet Wet. Und dem Hype wird wieder mal geglaubt, obwohl so was seit den Smiths nur noch einmal passiert ist: Letztes Jahr, als Suede den Briten den Glamour zurückbrachten.

Oasis sind fünf sehr unaufgeregte, typisch britische Bengel aus Manchester. Nicht besonders exzentrisch, nicht besonders dandylike, bekommen sie höchstens durch ihre Alltäglichkeit eine gewisse Coolness. Suburbia revisited, aber mit tausend Portionen Selbstbewußtsein und genug Rock-Stardom-Eroberungsphantasien. Diese Band ist arrogant genug, sich einen Dreck um das zu kümmern, was seit 1980 im Lande Pop passiert. Punk, das geht okay, das waren die Sex Pistols, die man für „Big time fun“ erklärt, doch die Größten für Oasis sind die Beatles. Unermüdlich bemüht Sänger Liam Gallagher den Pilzkopf in sich selbst: „John Lennon is living now, living in everybody who's into The Beatles, he's living in me.“

Nun ist das nicht besonders außergewöhnlich, das kam schon tausendmal aus Great Britain's Nachwuchsmündern. Bloß hat man solche Songs in ihrem energischen Bemühen um Pop und Straightness, um Melodie und Toughness lange nicht mehr gehört. Richtige Flitzer sind das, funkelnd, transparent und kraftvoll. Sie können zwar nicht auf das notorische Gitarren-Jingeljangel verzichten, entbehren aber jeglicher Brit-Pop- typischen Blutarmut. Klingen schroff und balancieren trotzdem genug Schippen Schönklang und Zauber durch die Zeit.

Oasis spielen Lieder, die ohne den übertrieben pseudo- stilistischen, Pathos bemühenden Überbau auskommen, die strictly Gitarrenpop sind, mit klitzekleinen, kaum hörbaren Prisen Glamour an den Verstärkerspitzen. The Sex Beatles are born, und das paßt zu Sound und noch mehr zu Oasis' Bewußtsein ob der wahrlich heldenhaften Epochen in der englischen Popgeschichte.

Was für Oasis die Beatles, das sind die Sex Pistols für die Manic Street Preachers. Diese Band aus Wales hetzte vor drei Jahren brutal offensiv ins königliche Geläuf. „Generation Terrorists“ hieß ihr erstes Album, und bevor man wußte, was die Preachers für Musik machten, war alles über ihr Image und ihre Intention bekannt: der furiose Name; das Outfit, das sich wie ein heruntergekommener Bastard aus Punk, Alice Cooper und Guns N'Roses darstellte; die Titel der Songs, die als „Slash'n'Burn“, „Motorcycle Emptiness“ oder „Motown Junk“ in den Ohren klingelten; und dann dieser lächerliche Anspruch, Teenager-Revolten zu katalysieren. Großspurigkeit rulte UK, und die Musik war schnell, hartrockig, melodiös und matt glitzernd.

So ging kurze Zeit die Post ab. Doch mittlerweile sind die aufrichtigen wie die falschen Flausen der bitteren Erkenntnis gewichen, das große, abgeschmackte Ding von gestern zu sein. Mit „The Holy Bible“, ihrem dritten Album, holen die Manic Street Preachers noch einmal zum großen Rundumschlag aus, lassen nun aber die Zielgruppe der Teens und Twens allein im Regen stehen.

Da wird ein historisches Revoltenpatchwork zusammengetragen, daß einem Augen und Ohren übergehen, werden Naziterror und Holocaust in einem Atemzug mit der manischen Quintessenz der ganzen Bibel genannt: „The centre of humanity is cruelty.“

Das darf man dann entweder als Sorge um die Welt via Pop verstehen, als drogeninduzierte Wahnvorstellungen geistig Reicher – Cheflyriker Richey James hält sich momentan mehr in Entzugsanstalten als in Studios auf – oder als ganz profanen, postmodernen Beliebigkeitsscheiß. Und plötzlich stimmen auch Sätze wie dieser: Stühle, Tische und Schränke sind das einzige, worüber man sich gerade noch unterhalten kann. Gerrit Bartels

Oasis: „Definitely Maybe“

Manic Street Preachers: „The Holy Bible“ (beide Sony Music)