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„Wo hast du so gut Deutsch gelernt?“

Der alternative Ausländerfreund mit seinem Helfersyndrom pflegt fleißig Klischees  ■ Von Dilek Zaptçioglu

Der „alternative“ Deutsche macht sich gern ein Bild von seinem Freund als Ausländer. Und das sieht ungefähr so aus: Der Ausländer ist ein armes Schwein, denn er kommt aus Verhältnissen, unter denen kein Mensch leben möchte, in der Regel als „Dritte Welt“ zusammengefaßt: Diktatur und Elend. Weil diese Verhältnisse auf jahrhundertelange Ausbeutung des Westens zurückzuführen sind, ist der Europäer schuldig (und der deutsche „Alternative“ liebt das Schuld- und Schamgefühl). Also muß dem armen Schwein hier ein Existenzrecht eingeräumt, es muß ihm geholfen werden. Das ist der Anfang des „positiven Rassismus“, Mitleid und Helfersyndrom sind seine Begleiter. Der Ausländer, der nicht mehr in die Opferrolle schlüpft, ist „nicht mehr mein Freund“.

Wenn sie mit einem Türken als Macho, mit einem Araber als Chauvi, einem Juden als Soldat konfrontiert werden, sind sie schnell enttäuscht. Die türkischen Jugendlichen in den Straßengangs, die als Underdogs auf berechtigtem Kriegspfad sympathisch erscheinen, werden sofort abgeschrieben, wenn sie etwa Männlichkeitsallüren an den Tag legen.

Auch dem „alternativen“ Deutschen ist es unvorstellbar, daß eine Frau trotz äußerer „Unterdrückungsmerkmale“ (Kopftuch, Schleier, scheinbare Unterordung unter den Mann) in der Familie das Sagen haben kann und Glück empfindet; für eine Feministin ist es unvorstellbar, daß in einer islamischen Familienordnung auch der Mann unter der ihm aufgebürdeten Verantwortung leidet.

Der deutsche Alternative als Altlinker (junge Alternative werden immer seltener) lebt bekanntlich im Clinch mit der Gesellschaft der „zweiten Schuld“. Seinen persönlichen Kleinkrieg gegen die „anderen Deutschen“ trägt er oft auf dem Rücken des Ausländers aus. Dem alternativen Deutschen ist jede Begegnung mit Landsleuten im Ausland peinlich. Er hat zu Deutschland ein äußerst ambivalentes Verhältnis, und seine persönliche Rache sieht manchmal so aus, daß er beispielsweise eine Schwarze oder einen Türken heiratet.

Deutsche Sozialarbeiter oder Lehrer fahren auf Bildungsreisen in die Länder der „Dritten Welt“. Ich habe diese Reisen einige Male begleitet. Namhafte türkische Politologen und Historiker in Istanbul haben sich Zeit genommen, um mit den Sozialarbeitern aus Obermelsungen zu sprechen. Gewerkschaften und Zeitungen wurden besucht. Nach ein paar Wochen Türkei zurück im heimischen Kaff, wurden die Reiseeindrücke als „Türkei-Exkursion“ zusammengefaßt und veröffentlicht. Die Sozialarbeiter schrieben über die Geschichte, die politische Struktur, die soziale Ordnung und nicht zuletzt über die „Kultur“ in der Türkei, als Experten! Das war schlimmer als der Reisebericht des weißen Kolonialhändlers „out of Africa“. Der deutsche Sozialarbeiter maßte sich nach zwei Wochen Türkei an, den türkischen Politologen als „Nationalisten“ oder die türkische Großstadtfeministin als „Privilegierte“ abzutun. (Über den Kurdenkonflikt oder die Folterpraktiken in der Türkei weiß der Deutsche in der Regel besser Bescheid als die Türken.)

Der alternative Ausländerfreund nimmt seinen Ahmet gerne zu Feten mit. Aber wenn er etwa über die internen Flügelkämpfe bei den Grünen spricht, wendet er sich nicht an Ahmet, sondern an seinen Freund Peter. Mit Ahmet spricht er lieber über den Rassismus in Deutschland. Er läßt sich von dem Ausländer seine Abneigung gegen die „anderen Deutschen“ bestätigen. Aber wenn seine Freundin sich zu lange mit Ahmet unterhält, wird er mißtrauisch. Ein Ausländer, der gut Deutsch spricht, genießt seine Bewunderung: „Wo hast Du denn so gut Deutsch gelernt?“ Die überschwengliche Begeisterung über die Sprachkenntnisse des Ausländers ist peinlich. Alle Fähigkeiten des Ausländers werden auf dessen lange Bleibezeit in Deutschland zurückgeführt: „Du hast bestimmt hier studiert“ oder: „Du bist bestimmt hier geboren.“ Daß es etwa in Istanbul oder Riad sehr gute Schulen oder Universitäten gibt, ist scheinbar unvorstellbar.

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