: Nachfolger ohne Zweifel
■ Wolfgang Schäubles kanzlerreifer Wahlkampfauftritt in Eimsbüttel
Dieser Wahlredner dröhnt nicht. Kommt nicht massig, nicht wuchtig, nicht alles verdrängend daher. Verharrt einen Moment, versteckt sich fast hinter den aufgestützten Armen. Spricht langsam, gesetzt, die Worte sollen wohl gewählt klingen, erste zaghafte Gesten, das Tempo langsam steigernd, abschwellend, dann wieder zunehmend bis zur temporeichen Kaskade. Er nimmt seine Zuhörer ein; die folgen ihm – egal wohin?
Wolfgang Schäuble läßt bei seinem Wahlkampfauftritt gestern abend im Eimsbütteler „Hotel Norge“ keinen Zweifel daran, welchen Weg er in den kommenden vier Jahren gehen will. Kanzlerreif seine Rede. Nur viel geschickter vorgetragen. Finanzpolitik, Gesundheitspolitik, Verteidigungspolitik, Verkehr, Wirtschaft, Arbeitsmarkt, Sozialpolitik. Schäuble läßt kein Feld aus, um seine Botschaft ans versammelte CDU-Volk zu bringen. Wir können's, die anderen können's nicht.
Die anderen, das sind „die Linken“. SPD. Grüne. PDS. Gewerkschaften. Friedensdemonstrierer. Sozialschmarotzer. Schäuble differenziert nicht. Schäuble polarisiert. Die Koalition handelt – zum Wohle Deutschlands; rotgrün blockiert – zum Nachteil Deutschlands. Das bleut er seinen 200 Fans immer wieder ein. Aufbau Ost. Asylrecht. Pflegeversicherung. Bundeswehreinsätze. Lauschangriff. Schäuble reiht Beispiel an Beispiel. Beschreibt eigentlich nicht mehr als das demokratieübliche Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition. Nur, daß es sich bei ihm anhört wie Räuber und Gendarm. Die Guten gegen die ganz Bösen. Wenn Schäuble „rotgrün“ sagt, dann klingt das immer ein wenig wie „Vaterlandsverräter“.
Aber das sagt er nicht. Die große Keule benötigt der CDU-Fraktionschef nicht. Die Welt, sagt er, sei nunmal derzeit auf die Atomkraft angewiesen. Alternativen? Regenerative Energien? Zu geringe Mengen! Also ausweichen auf Kohle, Öl, fossile Brennstoffe und die damit verbundenen Klimaveränderungen? Das, erwidert Schäuble sich selbst, sei auch verbunden mit einem Anschwellen des Meeresspiegels und das – es gruselt im Hotel Norge – „soll ich in Hamburg erläutern, was das bedeutet?“ Hamburg Land unter? Nein! Wer wollte Schäuble da widersprechen.
Oder hier: „Wir werden in den kommenden Jahren einen starken Regierungschef brauchen“. Kohl müsse das sein und zwar möglichst lange, versichert Schäuble pflichtgemäß. Und läßt keinen Zweifel daran, daß sein designierter Nachfolger keine Gefahr läuft, jemals unterschätzt zu werden. uex
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