piwik no script img

Gefangen in Autogaragen

■ Jeremias und Wolfgang waren 6-8 Stunden in Haft / Zwei Hanuta und eine Minisalami und Beschimpfungen für fünfzehn Gefangene

Viele DemonstantInnen erlebten am Wochenende stundenlange Inhaftierungen ohne Essen und ohne die Möglichkeit zu telefonieren. Jeremias (*) zum Beispiel wurde am Sonntag im Sielwallhaus von einem Polizeikommando überrascht; Wolfgang geriet am Montag in den Polizeikessel am Gustav-Deetjen-Tunnel und verbrachte anschließend einige Stunden in Polizeigewahrsam in einer Garage in Hastedt.

Am Sonntag gegen 17.00 Uhr stürmte die Polizei das Sielwallhaus. „Es gab überhaupt keine Vorwarnung. Innerhalb von Sekunden waren vermummte PolizistInnen – mit Motorradmasken unter den Helmen – drinnen“, sagt Jeremias. Sie zogen die Vorhänge zu. „Erst nach einer halben Stunde sagte jemand, daß hier durchsucht werden sollte.“ Währenddessen trugen die PolizistInnen Flugblätter und Material heraus. Von allen 50 Personen, die sich im Sielwallhaus aufhielten, wurden die Ausweise überprüft, auch der eines Kindes unter sechs Jahren. Alle Personen wurden abgestastet, bekamen Plastikhandschellen angelegt. „Sie schnürten das Blut ab.“

Vor dem Polizeiwagen wurden sie einzeln aufgestellt und fotografiert. In der Haftanstalt Oslebshausen wurde Jeremias mit 22 anderen zusammen in eine Großraumzelle mit Betonfußboden gesperrt, ausgestattet nur mit Heizung und Klo. Telefonieren durfte er immer noch nicht. Um 23.15, nach sechs Stunden, kam er frei.

Wolfgang stand mit weiteren 300-400 DemonstrantInnen im Kessel beim Gustav-Deetjen-Tunnel. „Wir wurden so um 11.00 Uhr in kleinen Gruppen in die Polizeiautos geführt,“ sagt Wolfgang. Zunächst kamen sie nach Oslebshausen. Auf der Straße vor dem Knast mußten sie den Inhalt ihrer Jacken und Taschen leeren. Anchließend ging es weiter nach Hastedt auf ein Gelände der Polizei für Verkehrsbereitschaft und Fahrbereitschaft. „Wir waren mit hundert Leuten in einer Autogarage eingesperrt.“ Laut Aussage eines anderen Demonstranten war es eine ölige, kalte und zugige Garage.

Telefonieren durfte keiner. „Man hielt uns hin und vertröstete uns, daß wir eh dem Haftrichter vorgeführt würden.“ Ein weiterer Demonstrant berichtet von „brutalen“ Sprüchen der Polizisten: „Wenn du dich nur einen Schritt bewegst, schlage ich dich tot!“ Auf dem Ellbogenschoner eines Beamten will dieser Demonstrant ein eingeritztes Hakenkreuz gesehen haben. Ein anderer Beamte soll gesagt haben: „Die können wir doch gleich auf die Müllhalde schmeißen.“

Vergebens bat ein junger Mann, dem die Zähne ausgeschlagen worden waren, um medizinische Hilfe. „Unser Arzt ißt gerade Mittag mit einem Minister“, war die Antwort eines Polizisten.

Später wurden sie zum Polizeirevier Domsheide gefahren. Dreieinhalb Stunden verbrachte Wolfgang mit 15 weiteren DemonstrantInnen in einer Zelle. Von den Beamten erhielt die Gruppe insgesamt zwei Hanutas, eine Bifi-Minisalami, zwei Wurstbrote, ein Milkyway, und einen weiteren Schokoriegel. Nach acht Stunden wurde Wolfgang freigelassen. „Es ist ein bedrohliches Zeichen, wenn der Staat mit einer Demo so umgeht“, sagt er. Die letzten zwei Jahre habe er „politisch resigniert“.

Vivianne Schnurbusch

(*) Name von der Redaktion auf Wunsch geändert.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen