piwik no script img

Denkstube des Sports

Vereint gegen die individuelle Gesellschaft / Zukunftsvisionen des Freiburger Kreises, der Arbeitsgemeinschaft größerer Sportvereine  ■ Von Tom Dauer

Freiburg (taz) – Es war ein weiter Weg für Helmut Schwarzbach. Immerhin sind es 910 Kilometer, die zwischen Frankfurt/Oder und Freiburg liegen. Doch die Teilnahme am Herbstseminar des Freiburger Kreises, der Arbeitsgemeinschaft größerer deutscher Sportvereine, war dem Geschäftsführer der Frankfurter Sportunion 90 die Strapazen der langen Autofahrt wert. Schließlich, so die selbstbewußte Einschätzung des Freiburger Kreis-Vorsitzenden Alexander Pfeiffer, „sind wir eine progressive Denkstube des deutschen Sports“.

139 Großvereine – groß, das heißt mindestens 1.500 Mitglieder – haben in dieser Stube Platz. Am vrgangenen Wochenende trafen sich die Vereinsoberen aus dem gesamten Bundesgebiet, um sich mit der „Zukunft des Sports und den Großvereinen“ zu befassen. Und wie immer, wenn man sich mit sich selbst befaßt und noch dazu 20jähriges Jubiläum feiert – heraus kam nicht sonderlich viel.

Zumindest nicht für Schwarzbach. Was wohl daran liegt, daß die neuen Vereine in Ostdeutschland ganz andere Probleme haben als die etablierten im Westen. Während die einen nach der deutschen Vereinigung mehr oder weniger bei Null anfangen mußten, stehen die anderen zumeist auf einer gesunden wirtschaftlichen Basis. Und während die einen erst einmal den verhunzten Ruf olympischer Kaderschmieden loswerden und das Vertrauen der Menschen gewinnen müssen, laufen die anderen Gefahr, eben dieses Vertrauen in die vereinten Fähigkeiten zu verlieren.

„Der Verein – Auslaufmodell oder Solidargemeinschaft der Zukunft?“ war denn auch das auf die westdeutschen Vereine zugeschnittene Thema des Vortrags von Jürgen Dieckert, Präsident des Deutschen Turner-Bundes. Ein Thema, bei dem Schwarzbach als einzig angereister Vertreter der fünf Ost-Vereine, die bisher dem Freiburger Kreis beigetreten sind, zumindest „die Ohren aufhalten“ wollte.

Zu hören bekam er einen eindringlichen Appell des Turnerpräsidenten an die Vereinsbosse: „Investieren Sie in das Soziale!“ Die Vereine müßten, um sich auch in Zukunft von kommerziellen Anbietern zu unterscheiden und damit konkurrenzfähig zu bleiben, „ein besonderes Profil entwickeln“, sagte Dieckert. Die Entwicklung der Vereine zu reinen Dienstleistungsunternehmen mache sie farblos. „Sportvereine sind mehr als Verkäufer von Freizeitanimation und strammen Schenkeln.“ Die gleiche Meinung vertrat auch Johannes Euerling, Leiter der Sportabteilung im Kultusministerium Nordrhein-Westfalen: „Der Sportverein ist ein Ort, wo Gemeinsinn und Solidarität noch gelebt, ja, er ist ein Ort, wo diese Werte erzeugt und eingeübt werden.“

Einhellig waren die Vereinsvertreter der Meinung, ihre Großvereine könnten einen erheblichen Beitrag dazu leisten, gesellschaftlicher Orientierungslosigkeit und zunehmender Individualisierung entgegenzuwirken. „Vor allem Jugendlichen, die nur noch in der Gameboy-Wirklichkeit leben“, sagte Dieckert, „müssen die Sportvereine, die Erfahrung von ,Du und Wir‘, von Gemeinschaft und Mitverantwortung bieten.“

Schöne Worte, die nun der Umsetzung harren. Den ersten großangelegten Versuch, den Stellenwert der Vereine ins rechte Licht der Öffentlichkeit zu rücken, startete der Freiburger Kreis Anfang dieses Jahres mit der Aktion Stadtforum in Frankfurt/Oder. Dabei diskutierten beispielsweise über hundert Menschen zum Thema Sport und Verein. Mit dem Erfolg, daß die Zuschüsse für den Sport in der Henry-Maske-Stadt nicht gekürzt wurden.

Die Aktion, die in 18 Städten zwischen Flensburg und Freiburg stattfand, soll nach dem Willen der Delegierten wiederholt werden. Was aber so ziemlich das einzige konkrete Ergebnis der Jubiläumsveranstaltung war. Denn neben den beiden Vorträgen, die die Großvereine in ihre soziale Pflicht nahmen, war nicht sonderlich viel geboten. Die Frage „Sind Mono- oder Mehrspartenvereine besser für den Fachsport?“ wurde nicht beantwortet. Und die Podiumsdiskussion zum Thema „Braucht der Sportler den Verein?“ verlief mangels Vertretern der Nein-Position im Sande.

Ach ja, noch eines: Der Gedanke, den Freiburger Kreis nach 20 Jahren kontinuierlicher Erweiterung für neue Mitglieder zu schließen, stieß auf wenig Gegenliebe. Schließlich könne man die ostdeutschen Vereine, die sich gerade erst entwickelten, nicht von vornherein ausgrenzen. Wenigstens ein Ergebnis, das Helmut Schwarzbach auf die lange Fahrt nach Frankfurt an der Oder mitnehmen konnte.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen