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Pelzige Algen am Arm

Allerlei flauschiges Gummigetier beim SF-Festival „Menschen & Monster“  ■ Von Harald Fricke

Dem Science-fiction-Film geht es nicht mehr so gut wie in den Sixties. Alle Mondlandungen sind schon gemacht, jedes Werbe-Bügeleisen saust mittlerweile durch animierte Galaxien; der Osten sendet keine Laserstrahlen mehr aus, und die Cyborgs werden vom Feminismus analysiert. Das unheimliche andere da draußen hat sich dem allgemeinen Splatter untergeordnet und taucht nur manchmal noch in Space-Thrillern wie „Total Recall“ als sprechender Alien- Bauch auf. Der selber Mondos und Weirdos filmende B-Picture-Fan Carl Andersen dagegen möchte mit dem Festival „Menschen & Monster“ wieder anknüpfen an jene schönen Jahre, als menschenfressende Sofakissen und liebeskranke Staubsauger noch zum Inventar des Fantastischen gehörten.

Am Anfang ist immer schon irgend jemand mit dem Raumschiff zwischen den Welten unterwegs, nicht mehr ganz hier und doch nicht dort – so wie in „2001: Odyssee im Weltraum“ die trägen Raumflugkörper zu Straußens „Zarathustra“ allegorisch Walzer tanzen: Sie drehen sich im Kreis, während sie aus der Zukunft unablässig auf die Gegenwart fallen.

Doch bereits in „The Angry Red Planet“ (1959) von Eb Melchior und Syd Pink, der 1962 den Tyrannosaurus-Rexploitation- Film „Reptilicus“ gedreht hat, geht eine Rakete auf dem Rückweg vom Mars verloren. Als die Kapsel dann nach ein paar bangen Minuten landet, ist die Hälfte der Besatzung tot, eine rothaarige Biologin schwebt traumatisiert durch die Wüste, und dem dahinsiechenden Captain wachsen pelzige Algen am Arm. Nur unter Schmerzen kann Iris sich an das Grauenhafte erinnern, was Tom auf dem fernen Planeten zugestoßen war: Eine überdimensionale Amöbe hat ihn angefallen und seinen Weltraum-Anzug mit salzsaurem Zellsaft eingespeichelt – Martians mögen keine Menschen. Das erfährt man nur sehr langsam aus behutsamen Rückblenden, in denen der Mars in blendend radiographisch rotes Licht getaucht ist. Ansonsten gibt es dort auch Killerpflanzen mit Tentakeln, wabernde Amphibienwesen und ein 15 Meter großes Wiesel, das auf Heuschreckenbeinchen herumstakst und eher nett ausschaut.

Überhaupt ist den Monstern from outer space wie auch denen von der Erde eine gewisse Knuddeligkeit eigen. Der Gummi-Drache Baragon aus „Frankenstein – Der Schrecken mit dem Affengesicht“ von 1971, aber auch all die anderen japanischen Urviecher aus „Infra Man“ (1976) gehören mit den ersten Godzilla-Filmen zum traditionellen Merchandise- Spielzeug der Nippon-Kids.

In „Infra Man“ werden gleich ein halbes Dutzend Bastelmodelle animiert: eine Art tasmanischer Teufel mit Schaufelbaggerhand und Bohrfaust, ein schlabberiger Octopus, eine knallrote Kugelspinne, zwei schratige Stahlkrähen und ein unfaßbar lachhafter Flauschhaufen auf zwei Beinen, der aus seinem dritten Auge Funken sprüht. Sie alle arbeiten im Dienst einer knapp bekleideten Bondage-Hexe, die gerne peitschen läßt und Japan vernichten möchte. Nur Infra-Man, ein fescher Cyborg in rotsilbernem Gummi-Overall, kann sie aufhalten. Es kommt zu Kung-Fu- und Karateverwicklungen, Schläuche und Schrauben fliegen durch die Luft, es blinkt psychedelisch, und die Musik blubbert so hip wie in Ilja Richters Disco '75 oder auf neumodischen Acid-Jazz-Alben. Wie in den großen Eastern aus dieser Zeit kann man den Schnitten nicht ganz folgen, aber freut sich aufs Finish, das hier mummenschanzartig choreographiert in einer Totenschädelhalle stattfindet. „Akira“, der dritte japanische Beitrag, ist zwar gezeichnet, funktioniert aber ähnlich: Zur Apokalypse platzt ein pausbackiger Teenie-Rocker aus allen Nähten.

Ein bißchen aus dem Rahmen des fröhlich-debilen white trash fällt der George-Romero-Film „The Crazies“. Nach seinem finsteren Post-Hippie-Splatter „Zombie“ drehte Romero 1973 die ebenfalls endzeitliche Geschichte vom amerikanischen Super-GAU als Reality-Gemetzel. Durch einen Unfall wird eine US-Kleinstadt biologisch verseucht. Truppen der Armee müssen einrücken und die zu Amokläufern mutierende Bevölkerung entsorgen.

Nach 20 Minuten hat man noch immer dieses komische Gefühl, in eine Sondersendung der „Tagesschau“ geraten zu sein. Dann aber wird es sehr perfide, denn auch die vermeintlichen Opfer wehren sich gegen ihre massakrierenden Befreier und kämpfen fortan an beiden Fronten. Neben „Martin“, dem in blassen Ost-Farben gehaltenen Problem-Film über einen jugendlichen Vampir, der nicht länger beißen will und doch muß, sicher das Beste von Romero, der inzwischen leider nur noch für entsprechendes Geld den einen oder anderen Horrorschwachsinn produziert. Früher war man näher dran. Harald Fricke

Menschen & Monster, bis 23.10, 20 und 22.30 Uhr mit wechselndem Programm, Camera im Tacheles, Oranienburger Straße 54–56.

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