Yogische Fliegerstaffel auf ABM-Basis

■ Das Kreuz mit dem Kreuz: taz-Reihe zum Bundestagswahlkampf Die große Hoffnung auf ein „kleines Wunder“ besteht bei der Naturgesetzpartei

„Einbruch zwecklos. Hier wird nur meditiert“, weist der Spruch an der Eingangstür zum Berliner Landesverband der Naturgesetzpartei Diebe auf die Erfolglosigkeit ihres Unternehmens hin. In der Tat gäbe es nicht viel zu holen. Die 1992 gegründete Partei, die bundesweit etwa 2.000 Mitglieder hat, zählt in Berlin nur etwa 130 Mitstreiter und betreibt ihren Wahlkampf aus deren Spenden- und Mitgliedsgeldern.

Nicht umsonst hat sich der Landesverband in den Räumen der Gesellschaft für transzendentale Meditation eingemietet. Wahlkampfhelfer wie die Ärztin, die sich der altindischen Ganzheitsmedizin verschrieben hat, der parteilose Philosophiestudent und der Zivi, die in ihrer Freizeit Wahlplakate mit ökologischem Kleister kleben, meditieren allesamt. Und sie alle glauben an den „Quantensprung im Bewußtsein“. Der Zivi ist überzeugt, mit der Naturgesetzpartei die absolute Mehrheit bei der Bundestagswahl zu erreichen. Die Ärztin formuliert es etwas lyrischer: „Wir schweben noch nicht, wir sind auf dem Sprung.“

Auch Thomas Klein, einer der Mitbegründer der Partei, verschwendet auf die Frage, ob die Fünfprozenthürde übersprungen werden kann, kein Quentchen Energie. Denn: „Unser Programm ist so gut, daß die Naturgesetzpartei es wert wäre, im Bundestag zu sitzen“, verkündet der selbständige Kaufmann, der auch eine Ausbildung als Heilpraktiker hat. Ob das gelingt, hänge aber einzig und allein vom „kollektiven Bewußtsein“ ab.

Um dem – weltweit – auf die Sprünge zu helfen, reiche eine Gruppe von 7.000 Personen aus, die im Lotussitz als „yogische Flieger“ die entsprechende Atmosphäre schaffen, um „vernunftbegabte Entscheidungen treffen zu können“, so Klein. Mit öffentlichen Hüpfvorstellungen halte man sich aber zurück; wer will schon gern belächelt werden. In Deutschland könnten schon 3.000 Flieger dafür sorgen, daß innerhalb kürzester Zeit himmlische Zustände auf Erden herrschen würden: minimale Kriminalitäts- und Krankheitsraten, Frieden überall, Arbeitslose, die man an einer Hand abzählen kann. Detlev Wulf, Direktkandidat in Kreuzberg, der bei der Gründung der Partei „ein Freudegefühl im ganzen Körper“ verspürt hat, könnte sich die Berliner Umgebung als geeigneten Ort vorstellen, um von dort aus die Berliner Verbrechensquote „aus dem Stand und in einem kurzen Zeitraum“ um über zwanzig Prozent zu senken. Zur Rekrutierung der Flieger denkt Wulf an Arbeitslose, die durch diesen „positiven Ansatz der Weiterbildung“ auf dreimonatiger ABM-Basis ihre Beschäftigungschancen enorm steigern könnten. Die Fehlerwahrscheinlichkeit der Fliegerstaffel liege bei 10-18, schwört Wulf, der seit 22 Jahren meditiert.

Der Wahlkampf des Filmkomponisten beschränkt sich hauptsächlich auf die Hoffnung, seine selber produzierte Rundfunksendung in den Äther zu schicken und in Talk-Shows eingeladen zu werden. Ansonsten sei er jederzeit bereit, den etablierten Parteien sein Wissen anzubieten, denn Oppositionspolitik würden er und seine Genossen nicht betreiben. Er selbst würde sogar mit den „Republikanern“, „einem Spiegel der Strömung des Volkes“, kooperieren, wenn sie plötzlich alternative Energieformen für ihren Wahlkampf entdecken würden. Seine Partei als „Ideengeber“ und ausgestattet mit dem Wissen, wie man die „ruhevolle Wachheit“ erlangen könne.

Auch bei dem zweiten Direktkandidaten der Partei, Ekkehart Kahl, der gleichzeitig Wahlkampf für den Spitzen- und Kanzlerkandidaten (!) der Partei, Reinhard Borowitz, betreibt, bleibt für die irdische Konkretisierung von Wahlversprechen neben der Begeisterung für das eigene Parteiprogramm kein Platz. Kahl, der im Wahlkreis Wedding, Tiergarten und nördliches Charlottenburg erste Flugversuche unternimmt, möchte nicht nur, daß die Menschen „harmonisch und glücklich miteinander leben“, sondern auch die Berliner Verkehrspolitik verändern. Ein Konzept dafür hat er zwar nicht, aber das macht nichts. Denn mit „menschlicher Intelligenz“ ließe sich ganz sicher eins ausarbeiten. Trotz aller abgehobenen Vorstellungen hat Kahl aber den Sinn für die Realität nicht gänzlich verloren: „Die Erfahrung zeigt, daß zu befürchten steht, daß die Bundesregierung uns nicht um den Hals fallen wird.“

Wenn der Filmkomponist morgens und abends nach der Meditation zum Sprung ansetzt, löst er sich von der Erdenschwere und empfindet großes Glück dabei. Damit auch andere dieses Gefühl der Freiheit erfahren können, hofft er auf „ein kleines Wunder“, das möglichst in den letzten zehn Tagen vor der Bundestagswahl eintreten möge. Barbara Bollwahn