„Tangentopoli“ – das Spiel zu den Affären

■ Dokumentation des Vernehmungsprotokolls eines Schmiergeldsammlers

Die folgenden Auszüge leitete ein Rechtsanwalt an die taz weiter. Sein Mandant, ein ehemaliger Bezirkssekretär der Sozialistischen Partei in Italien, gab seine Zustimmung.

Das System der umfassenden Erhebung von tangenti, Schmiergeldern, habe ich nicht erfunden, sondern vorgefunden. Es bedeutet, daß man möglichst von jedem, der einen öffentlichen Auftrag will, einen bestimmten Anteil der Auftragssumme als „Parteispende“ verlangt und andernfalls Druck auf die Entscheidungsträger ausübt, den Auftrag an jemand andern zu vergeben. Das System bedeutet weiterhin, daß man bei der Besetzung zumindest jener öffentlichen Ämter, die über einen erheblichen Etat verfügen oder Weisungsbefugnisse für andere solche Ämter haben, Leute des eigenen Vertrauens lanciert, die den Anweisungen für die Auftragsvergabe folgen und in jedem Falle der Parteizentrale respektive ihrem Kassierer anzeigen, welche Aufträge in nächster Zeit vergeben werden.

Nur auf diese Weise ist eine einigermaßen abgesicherte Haushaltsplanung möglich. Mit den normalen, öffentlich deklarierten Parteispenden kommt heute keine Partei mehr aus. Was unsere Partei, immerhin zweitstärkste Kraft der Regierung, an offiziellen Spenden eingenommen hat, würde kaum für eine der Dreiprozentparteien, Sozialdemokraten oder Liberale, ausreichen. Als Mittler der Demokratie, als welche die Parteien fungieren sollen, könnte so heute keine mehr arbeiten.

Weiterhin gehörte es zu meinen Aufgaben, auch im Privatbereich, also außerhalb der Ämter und der staatlichen Aufträge, Firmen miteinander zu verkuppeln und dafür dann tangenti zu kassieren. Diese Firmen erwarteten sich von einem Befolgen unserer „Ratschläge“ nicht nur Sonderkonditionen, sondern oft auch die Möglichkeit von Absprachen bei größeren Aufträgen, nicht nur staatlichen, sondern auch privaten. So entstand ein ganzes Netz von verwobenen Beziehungen, in deren Zentrum ich saß und aufpaßte, daß alles reibungslos lief und niemand zur Konkurrenz aus dem Spektrum der anderen Parteien überlief. Es sei denn, ich hatte mit deren Sekretären ein Übereinkommen über die Aufteilung größerer Abgaben getroffen. Das geschah, wenn die tangenti mehr als zehn Millionen Lira [derzeit umgerechet etwa 10.000 Mark, bis Anfang der 90er Jahre etwa 16.000 Mark, d. Red.] betrug oder wenn mehrere Ämter entscheiden mußten, deren Führung in unterschiedlichen Parteien lag.

Das System funktionierte in der Tat nahezu reibungslos, und kaum jemand unterließ es, bevor er einen Antrag stellte, zu mir oder einem meiner Stellvertreter oder zum Fraktionsvorsitzenden in den betreffenden Rathäusern zu kommen und nachzufragen, wie hoch der Provisionssatz denn liege. In der Regel lag er zwischen fünf und zehn Prozent. Doch es kam auch vor, daß wir eigens Aufträge erfanden, die dann über Strohfirmen vergeben wurden und am Ende nahezu ungeschmälert in unseren Kassen landeten. In der Regel handelte es sich dabei um Planungsaufträge, etwa für eine Stadtrandsiedlung, eine Straßentrasse oder eine Flußregulierung.

Die Vorgaben waren in der Regel so, daß das Projekt dann nicht ausgeführt werden konnte, etwa weil das Vorhaben in einem geschützten Gebiet lag oder der Untergrund nicht entprechend war. Doch die Planung als solche ließ sich auch dem Rechnungshof gegenüber meist mit gewissen städtischen Bedürfnissen rechtfertigen. Eine Kontrolle erfolgte nur, wenn keine Dokumentation über die „ausgeführte“ Planung vorlang. In der Regel hatten wir da im Austauschverfahren jedoch solche Dokumentationen aus anderen Provinzen vorrätig, bei denen nur die Namen, Ortsbezeichnungen und Lagepläne ausgetauscht wurden.