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Was darf's denn heute sein?

■ Der Mensch als Ersatzteillager — die Körperindustrie ist längst Wirklichkeit

Mit der stürmischen Entwicklung der neuen Biotechnologien ist ein boomender Körpermarkt entstanden, der noch die kleinsten Bestandteile des Menschen zu einer wertvollen Ware macht. Weltweit besteht eine riesige Nachfrage nach Blut und Organen, in Forschungslabors und der Pharmaindustrie wird fetales Gewebe verarbeitet, Samen- und Eizellen, von SpenderInnen gegen Bares abgegeben, werden tiefgefroren, um dann später an die Reproduktionsindustrie verkauft zu werden, Patente auf menschliche Zellen und kurze Abschnitte der Erbsubstanz lassen die Börsenkurse in die Höhe schnellen. Eine Multi-Milliarden- Industrie ermächtigt sich menschlicher Körperteile und macht damit riesige Profite.

Andrew Kimbrell, Rechtsanwalt und als Direktor der „Foundation on Economic Trends“ in Washington engster Mitstreiter des wohl bekanntesten Gentech- Kritikers, Jeremy Rifkin, ist jetzt mit seinem Buch Ersatzteillager Mensch angetreten, um den „Schleier zu lüften, der die Körperindustrie vor den Blicken der Öffentlichkeit verbirgt“. Kimbrell hat zum Rundumschlag ausgeholt. Er versucht die Zusammenhänge aufzuzeigen, die zwischen Organhandel und Transplantationsindustrie, Leihmutterschaft und Retortenkindern, Menschenmanipulation und dem Geschäft mit den Genen bestehen. Bei diesem Unterfangen ist es fast unvermeidlich, daß er nur an der Oberfläche bleiben kann. Sein Werk bleibt lesenswert, gibt es doch einen einmaligen Überblick darüber, wie das Machbare teilweise schon Einzug in unser Leben gefunden hat und wie die „Technisierung und Kommerzialisierung des menschlichen Körpers“ langsam, aber stetig voranschreitet: bis der einzelne, so seine eindringliche Warnung, selbst keine Eigentumsrechte mehr an seinen eigenen Körperbestandteilen hat.

Selbst diese Warnung kommt fast schon zu spät, denn die ersten Gefechte um die Besitzrechte an menschlichen Zellen wurden bereits vor Gericht ausgetragen. Der Fall Moore zeigt, was geschehen kann, wenn ein kommerzielles Interesse an Körperteilen besteht. John Moore, ein Geschäftsmann aus Alaska, hat einen langjährigen Rechtsstreit um die Eigentumsrechte an seinen eigenen Körperzellen hinter sich. Die Klinik, in der Moore als Krebspatient behandelt wurde, hatte, ohne daß er darüber informiert worden war, seine weißen Blutkörperchen, die eine wertvolle antibakterielle und gegen Krebs einsetzbare Substanz produzierten, zum Patent angemeldet und auch erteilt bekommen. In die Taschen der „Erfinder“ flossen über eine Million Dollar an Lizenzgebühren. Moore erfuhr erst Jahre später davon. Er ging vor Gericht und verlor. Für Kimbrell ist damit der Weg vorgezeichnet: „Wenn der Entwicklung nicht Einhalt geboten wird, wird bald das Leben in all seinen Formen Patenten unterliegen“.

Um seine Warnungen vor dem Fortschreiten der Biomedizin zu untermauern, hat Kimbrell zahlreiche, zum Teil aufschreckende Beispiele angeführt. Einige davon könnten auch aus der Bundesrepublik stammen, andere wären aufgrund der zum Teil (noch) restriktiven bundesdeutschen Gesetzgebung hier undenkbar. Es ist daher bedauerlich, daß der Herausgeber Mühe und Geld scheute, Kimbrells Wunsch nachzukommen, das Buch auf unsere Verhältnisse zu übertragen. So bleibt der Eindruck, dies geschehe alles in einer fernen Welt und betreffe uns nicht.

Mit seinem Buch will Kimbrell kein Horrorgemälde an die Wand malen, er will wachrütteln und fordert zum Handeln auf. Er sieht durchaus noch Möglichkeiten, die eingeschlagene Richtung zu ändern. Seine Vorschläge am Ende des Buches bleiben jedoch nur halbherzig. Denn gerade sein pessimistischer Grundton läßt ihn auf einen pragmatischen Weg hoffen, der nur noch das Schlimmste verhindern soll. So warnt er zum Beispiel vor eugenischen Zielsetzungen und fordert folgerichtig ein Verbot für Eingriffe in die menschliche Keimbahn. Dies aber soll nur „bis auf weiteres“ gelten, weil, so lautet seine Begründung, „wir“ keine Kriterien dafür haben, „welche Gene ,gut‘, welche Gene ,schlecht‘ sind“. Sollte es diese Kriterien in der Zukunft einmal geben, dann wären somit Keimbahneingriffe und damit auch eugenische Maßnahmen zulässig. Wolfgang Löhr

Andrew Kimbrell: „Ersazteillager Mensch“. Campus Verlag, Frankfurt/Main 1994, 277 S., 39,80 DM

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