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Joschka Fischer Superstar

■ Der dicke Frankfurter war der Top-Act im Wahlkampf / Die Erotik der Macht

„Und denkt daran, der Kohl hat schon recht: Die Zweitstimme ist die Kanzlerstimme. Damit könnt Ihr ihn als Rentner nach Oggersheim zurückschicken.“ Das sagt der stämmige Frankfurter in den besten Jahren nun schon zum fünftenmal. Der Mann weiß, wie dünn die politische Vorbildung in Sachen Erst- und Zweitstimme im Volk ist. Aber das scheint den BremerInnen fast gar nichts auszumachen. Verzückt jubeln sie dem Begnadeten, dem Einzigartigen zu. ER war da, und wenn die grüne Außenwirkung noch weiter joschkisiert wird, dann schreiben die Grünen seinen Namen bald nur noch in Großbuchstaben.

Was sich am Montag abend im Modernen abgespielt hat, das war der definitive Top-Act in einem ansonsten schnarchlangweiligen Wahlkampf. Scharping auf dem Marktplatz blass, Kohl in der Stadthalle, daß einem die Füße einschlafen – Erfolg, Dein Name ist Joschka. Der frisch zurückgetretene hessische Umweltminister könnte für sich den großen Harald Juhnke-Ehrenorden für hervorragende Entertainerleistungen reklamieren. Das Jacket spannt und die Säle platzen aus den Nähten – zumindest im Westen der Republik. Mit mehr als 1.200 BremerInnen war das Modernes pickepacke voll, und draußen waren noch Massen frustriert abgedreht, als sie die langen Schlangen gesehen hatten. Und als Joschka der Große unter donnerndem Applaus mit den beiden Bremer Grünen SpitzenkandidatInnen Marieluise Beck und Arendt Hindricksen die Bühne verließ, da waren fast noch alle da. Kaum einer hatte den Saal verlassen, dabei war es doch schon elf Uhr, und wer hält schon so lange bei einer politischen Veranstaltung durch?

Das war alles andere als eine dröge Wahlveranstaltung, und verantwortlich dafür war nicht allein der Dicke, sondern zuallererst die Anheizer des Abends. „Libretto Fatale“, die Bremer Kabarettinstitution, war eigens in Klausur gegangen, um das neue Programm bühnenreif zu proben. Mit vollem Erfolg: Das Volk juchzte, und es juchzte am allermeisten, wenn es gegen die Macken der praktizierenden Grünen ging. Wenn die Öko-Mutti ihrem kleinen Dominik-Jasper eine Straßenbahn auf den Pulli strickt, oder wenn der grünalternative „Velozipator“ auftritt und hinterher eine Horde männlicher Flagelanten Buße tut, weil „ich habe einen Frontspoiler besessen.“ Es funkte zwischen Bühne und Publikum, da machte es gar nichts, daß erst um halb zehn die Politik drankam.

Der grüne Umweltsenator Ralf Fücks hatte die unangenehme Aufgabe, zwischen den Ablachern und dem Hit des Abends zu reden. Er erledigte das souverän, halbtrocken und in der gebotenen Kürze.

Dann endlich kam er, der personifizierte „Ich will“, das fleischgewordene „An mir kommt keiner vorbei“. „Ich bin da“ – alles in Großbuchstaben, eigentlich. Das kann man sonst nur beim Kanzler beobachten. Und Fischer redete eine gute Stunde lang, und da war kaum ein Augenbliick, an dem es langweilig geworden wäre.

Fischer, das ist die Erotik der Macht. Woanders kann man dieser Tage Sprechmaschinen besichtigen, die halsaufwärts existieren, der Rest ist einstudierte Pose. Fischer dagegen redet aus allen Körperteilen, wenn es darauf ankommt auch aus dem Halsspeck. Beim Zwischenruf „Transrapid“ zum Beispiel, bei dem die hessischen Grünen gegenüber ihren SPD-KoalitionspartnerInnen nachgegeben hatten. „Wir kündigen doch nicht so kurz vor der Bundestagswahl und den Landtagswahlen die Koalition, bloß wegen dem Transrapid. Ich kann Dir ja mal die Bilanz aufmachen.“ Und dann schüttet er den armen Zwischenrufer voll mit hessischen Regierungserfolgen.

Fischer redet ohne einen Fetzen Papier. Gegen Kohl und für eine Verkehrs- und Energiewende, für den Ausstieg aus der Kernenergie und für die Ökosteuerreform und gegen die SPD (“Es ist ein Trauerspiel“) und der FDP weint eh keiner eine Träne nach – das hat er in den letzten Monaten tausendmal erzählt, das kann er mittlerweile rückwärts. Da ist er um jeden Zwischenruf froh, der lockert auf. Und soll keiner glauben, die PDS käme davon. „Diese geschmäcklerische Westlinke“, die hat ihm gerade noch gefehlt:: „Wer sagt, er will in der Opposition bleiben, der sagt, daß Kohl Kanzler bleibt. Und das können wir doch nicht wollen.“

„Es ist noch nichts entschieden, Ihr habt es in der Hand“, hämmert Fischer den BremerInnen ein. „Wenn jeder noch fünf mitbringt, nein, lieber sechs, weil bei uns ist ja alles quotiert, dann schaffen wir es.“ Und zum sechstenmal: Die Zweitstimme ist die Kanzlerstimme. J.G.

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