Bremen humpelt voran

■ Konjunkturaufschwung und Arbeitslosigkeit nach deutscher Einheit

Blühende Landschaften und Aufschwung West soweit das Auge reicht. „Das Land Bremen hat von der deutschen Einheit unverkennbar in besonderem Ausmaß profitiert“, verkündete gestern Claus Jäger, Senator für Wirtschaft, Mittelstand und Technologie. Der Bremer Ausschuß für Wirtschaftsforschung (BAW) hatte das Wirtschaftswachstum von 1989 bis 1994 erforscht und den Bericht gestern präsentiert.

„Bremen liegt an der Spitze des Wirtschaftswachstum bundesweit“, meint Jäger, eine „bemerkenswerte Entwicklung“. Mit 3,4 Prozent Wirtschaftswachstum im ersten Halbjahr 1994 liege Bremen sogar noch vor dem westdeutschen Durchschnitt. Die Erwerbstätigen in den alten Bundesländern konnten nur um 2,2 Prozent das Bruttoinlandsprodukt steigern. Statistisch gesehen arbeiten Bremer Unternehmen auch produktiver. Runde sechs Prozent legten hier die Hanseaten im selben Zeitraum zu, die Bundesdeutschen schafften nur 3,9 Prozent.

Produktivität hat seinen Preis. In den ersten sechs Monaten dieses Jahres sackten die Beschäftigungszahlen in Bremen erneut um 2,4 Prozent, in Westdeutschland dafür nur um weitere 1,6 Prozent ab. Bislang sind in diesem Jahr 7.000 Bremer Arbeitsplätze abgebaut worden. „Man kann nicht ganz von der Hand weisen, daß wie 1993 wieder 10.000 Arbeitsplätze wegfallen werden“, gibt Walter Heinemann, Herausgeber der BAW-Studie, zu. Der Einheitsboom nach 1989 habe zunächst 21.000 neue Arbeitsplätze in Bremen geschaffen, 17.000 davon sind schon wieder abgebaut worden.

Auch Bremens „zweitbestes Wachstumsergebnis unter den Altländern“ relativiert sich bei genauerem Hinsehen. Im vergangenen Jahr wuchs die Wirtschaft Bremens nur in die roten Zahlen, ein saftiges Minus von 2,1 Prozent errechnete das Statistische Landesamt für 1993. Das Wachstum 1994 gleicht vor allem diesen Rückgang aus. „Bremen hat fast ganz die Delle ausgebügelt“, meint Heinemann und so rechnet der Wirtschaftswissenschaftler mit insgesamt 2 Prozent Wachstum für das Jahr 1994.

Der Nahrungs- und Genußmittelindustrie habe Bremen den Aufschwung West nach der deutschen Einigung zu verdanken, meinen BAW und Jäger. Durch den enormen Nachholbedarf an Schokolade, Kaffee, Bananen und Fisch in Ostdeutschland habe die gerade an der Weser ansässige Industrie zugelegt und das Bremer Bruttoinlandsprodukt gesteigert. In diesem Jahr sei zudem „der ausgeprägte Aufschwung im Fahrzeugbau sowie in der Stahlindustrie“ für die gute Konjunktur verantwortlich. „Klöckner produziert heute genauso viel Stahl wie vorher, aber mit 2.000 Leuten weniger“, sagt Jäger. „Der Schiffbau hat noch vor sich, was Klöckner schon gemacht hat“, um je diese Produktivität zu erreichen.

Damit Bremen nicht wie vor der Wende „in die äußerst schwierige Situation des ewigen Hinterherhinkens hinter dem Bundestrend“ zurückverfalle, müsse investiert werden. Dafür gibt es das Wirtschaftsaktionsprogramm (WAP). „Als es noch kein WAP gab, ging die Schere zwischen Land und Bund auf“, gibt Jäger zu bedenken. Die Weltausstellung Expo 2000 in Hannover werde aber enorme Wachstumsschübe für die ganze Region bringen. Die Raumfahrtindustrie müsse daher aus WAP-Töpfen gestärkt werden, der Flughafen weiter ausgebaut werden. Außerdem will Jäger den Dienstleistungssektor in Bremen stärker ansiedeln. „Hier gibt es ja nicht einmal mehr einen Schuster“, weiß der Senator. fok