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Magical History Tour

Du bist vielleicht ein Idiot, aber versuche, nicht dumm zu sein. Also spricht Forrest Gump, ein nicht ganz so accidental hero der Nation. Tom Hanks, bislang mehr oder weniger netter boy next door, spielt sich in die Oberliga  ■ Von Anke Westphal

Neun Jahre hat die Produzentin Wendy Finerman gekämpft, um „Forrest Gump“ durchzusetzen. Jetzt liebt eine ganze Nation diesen Film mit dem simplen Leitbild und den weniger simplen Trickeffekten der Industrial Light and Magic Company. Seit seinem Start hat der jüngste Wurf von Regisseur Robert Zemeckis in den USA mehr als 222 Millionen Dollar eingespielt. „Gumpismen“, griffige Weisheiten, sind in aller Munde.

Forrest Gump (Tom Hanks) sitzt auf einer Bank und wartet auf den Bus. Der Südstaatenmann trägt Polyesteranzug, das Hemd hochgeknöpft bis zum Adamsapfel und eine gefährlich knappe Frisur. Gump ist augenscheinlich „anders“. Eine weiße Feder fliegt ihm vor die dreckigen Nikes, er knabbert Pralinen und erzählt befremdeten Passanten seine Lebensgeschichte. Und Forrest Gump hat alles erlebt, gewissermaßen die gesamte amerikanische Geschichte der letzten vierzig Jahre. Regisseur Zemeckis benutzt den Simpel als tour guide durch dieselbe. Ein tour guide wie weiches Wachs, nichts als den strikten Prinzipien der Eigenmaterie folgend; keine noch so spektakuläre Historie hinterläßt einen Abdruck. Forrest Gumps Eigenmaterie entstammt dem goldenen Sprüchebeutel seiner Mutter (wirklich mal großartig: Sally Field): „Wenn du pinkeln mußt, rede nicht drüber, tu es einfach. Später ist vielleicht keine Zeit mehr.“ Oder: „Laß dir nicht einreden, andere seien besser – du bist genauso gut.“

Richtig: Forrests Geschichte ist die eines Amerika, das sich genau jene Unschuld zurückwünscht, die Geschichte nun mal leider nicht aufweist. „Forrest Gump“ ist eine, wenn auch ulkig, rasant und grandios inszenierte, so doch seltsame Paraphrase auf den amerikanischen Traum. Der Name der zentralen Figur ist nicht zufällig der eines Bürgerkriegshelden.

Beginnen wir mit Prämissen, wie sie die alleinerziehende Mutter Gump tradiert: a) Gleichheit und Aufrichtigkeit bei allerdings gutgefüllter Börse, b) jeder ist seines Glückes Schmied. Sohn Gump hat einen kümmerlichen IQ von 75, sein Rücken ist verkrümmt, er steckt in Beinschienen. Von den Schulkameraden schikaniert, läuft er um sein Leben und entdeckt dabei die ihn trotz Einfalt fürs Collegestipendium qualifizierende Eigenschaft: Er rennt wie der Wind. Forrest schafft es, erst als Football-, später als Tischtennisstar geradewegs to the top. Drei amerikanischen Präsidenten sowie Mao, Elvis Presley und John Lennon darf er die Hand schütteln.

Die Abteilung „Special Effekts“ bei ILM hat Bemerkenswertes geleistet, was das Hineinkopieren des mopsfidelen Zeitgenossen Hanks in brüchige Archivfilme angeht. Damit der Händedruck möglich werde zwischen JFK und Gump, wurde zunächst eine passende Szene aus dem abgelegten Wochenschaumaterial sortiert. Der Präsident wurde, schnipp-schnapp, herausgeschnitten und in filmisch gelungenere Archivaufnahmen aus dem Oval Office hineinprojiziert. Tom Hanks wiederum wurde dann handschüttelnderweise vor einem Blue screen gefilmt und schließlich gewissermaßen dem Präsidenten, inzwischen im Oval Office, in die Hand gedrückt. Zemeckis im Pionierfieber: „Vor rund zwanzig Jahren hat David Lean für ,Lawrence of Arabia‘ noch wochenlang in der Wüste auf einen Sonnenuntergang gewartet – wir machen ihn uns einfach selbst.“

Kindheit, Schule, College, Rock 'n' Roll, Armee, Vietnamkrieg, die Disco-70er und Yuppie-80er sind die Stationen, die Forrest zum Helden der Nation sowie Krabben- Millionär machen. Ein Allerweltsheld, der tut, was ihm gesagt wird und dabei trotzdem nie auch nur ein My von seinen guten Grundsätzen abweicht. Ein Held, der ein ehrliches, gottesfürchtiges Leben führt und in puncto Frauen nur der Mama und seiner Jugendliebe Jenny anhängt. Ein Mann, der immer meint, was er sagt und stets danach handelt – unglaublich. Gump: „Ich halte immer meine Versprechen.“

Es trifft sich natürlich gut für die Geburt des Idols Gump, daß Forrest geistig eher langsam und extrem einfach als ernsthaft behindert ist. Es trifft sich ebenfalls gut, daß etliche der sogenannten normalen Leute um Forrest herum viel gräßlichere Probleme haben als der so telegen Behinderte. Diese Dichotomie von liebenswerter Abweichung und normal Kaputtem ist nicht neu. Schon „Rainman“ hatte ja einen komplett neurotischen Bruder, und der zurückgebliebene Arnie in „Gilbert Grape“ eine fette, unglückliche Mutter. Auch Forrests engste Freunde, Jenny (Robin Wright) und der Vietnam-Veteran Dan Taylor (Gary Sinise), sind als selbstzerstörerische Charaktere angelegt. Jenny wurde als Kind mißbraucht, hechelt dem Zeitgeist hinterher, ist drogensüchtig, suizidgefährdet und stirbt schließlich an Aids. Taylor kommt mit seiner Beinamputation nicht klar, säuft und wütet gegen das Loch in seinem Leben. Simplicissimus Forrest rettet immerfort, ist aller Sinnspender und Glücksbringer, die unberührbare Heilige Einfalt im Napalmregen Vietnams wie auf den Minenfeldern der modernen Gesellschaft. Gump steht für etwas, das sich nicht verändert. Gut ist die Indifferenz.

Und dieser Aspekt ist, unter der Lupe betrachtet, mitunter ziemlich ärgerlich, selbst wenn man zugute hält, daß Forrest Gump natürlich eine Kunstfigur ist. Akteure, die aktiv in die amerikanische Geschichte involviert sind, kommen ziemlich mies weg. Antikriegsdemonstranten sind aggressiv und reden dazwischen. Black Panther schlagen Frauen und auch sonst jedem auf die Fresse. Blumenkinder sind unhygienisch und nehmen pausenlos Drogen. Der Regisseur läßt das so stehen. Natürlich ist es lustig, wenn Gump, von Präsident Johnson nach seiner Kriegsverletzung gefragt, diesem einen Schuß in den Arsch vorführt. Eine politische Geste ist es nicht. Als Forrest Gump auf einer Antikriegsdemonstration nach Vietnam gefragt wird, versagt das Mikro, ein Symbol. Dieses Idol macht mit, wo immer es hingestellt wird. Auf einen „virtual-reality theme park: a babyboomer version of Disney World“ und eine „magical history tour“ dampfte Entertainment Weekly die Essenz dieses Films ein.

Letzte Anmerkungen zum Opus: Wer Tom Hanks bislang für nichts weiter als einen guten Handwerker hielt, wird hier entweder bestätigt oder aber bekehrt. Die Kardinalfrage: Ist nun endlich ein Superstar, wer einen Idioten so begnadet spielt? Wie Hanks seine Umwelt wahrnimmt, auf Babyart den Kopf einem Geräusch zudreht, wie er Stolz ausdrückt, indem er das Linealgerade von Forrests Haltung verdoppelt – das hält einen unbedingt in Atem. Dann die Tricks, die Gigantomanie vorspiegeln, und die tatsächliche Gigantomanie. 1.500 Komparsen wurden von der Kamera für die Antikriegsdemonstration so aufgenommen, daß sie wie Hunderttausende wirken. Zemeckis Crew filmte in elf US-Staaten, kostümierte 12.000 Leute, 150 Sets wurden gebaut. Film bildet nicht ab, er verschiebt die Wirklichkeit. In den letzten 20 Minuten von „Forrest Gump“ läuft Hollywood zur Unerträglichkeit auf. Plötzliche Vaterschaft Forrests. Kurzes Eheglück mit Jenny, durch den Aidstod derselben genreimmanent tragisch beendet. Bange Frage, die die Verlogenheit solcher Art Idolisierung so richtig beflimmert: „Ist der Kleine auch klug?“

Die Moral vons Janze soll wohl sein: Wir sind schließlich alle ein bißchen behindert, wenn wir es nicht allzu eng auslegen, und trotzdem können wir alle Gewinner sein. Das ist eine sehr schön anzusehende, sehr unterhaltsame und trotzdem verdammte Lüge.

„Forrest Gump“. Regie: Robert Zemeckis. Buch: Eric Roth, nach einem Roman von Winston Green. Kamera: Don Burgess. Mit Tom Hanks, Robin Wright, Sally Field, Gary Sinise, Myketti Williamson. USA, 140 Minuten.

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