: „Stimmungsbilder sind keine Prognosen“
■ Dieter Roth von der Forschungsgruppe Wahlen antwortet auf Ulmers Vorwürfe
taz: Herr Roth, der Wuppertaler Mathematikprofessor Fritz Ulmer wirft den Meinungsforschern „systematische Wählertäuschung“ per Wahlprognose vor.
Dieter Roth: Ich spreche hier nur für die Forschungsgruppe Wahlen. Wir machen in keiner unserer Veröffentlichungen Wahlprognosen, sondern wir geben das jeweilige Stimmungsbild wieder. Aus diesen Daten erstellen wir dann eine Projektion, die Aufschluß darüber gibt, wie ein Wahlergebnis wahrscheinlich aussehen würde, wenn zu diesem Zeitpunkt gewählt würde. Herr Ulmer unterscheidet leider nicht zwischen Meinungs- und Wahlforschern. Während Meinungsforscher immer nur die Stimmung wiedergeben können, sind Wahlforscher aufgrund ihrer Erkenntnisse in der Lage, anzugeben, was aus einer Stimmung wird, wenn eine Wahl bevorsteht. Diesen Unterschied hat Herr Ulmer nie begriffen.
Für den normalen Mediennutzer ist ja die Sonntagsfrage von entscheidender Bedeutung. Ulmer zeigt am Beispiel des von Ihnen erstellten „Politbarometers“ für das ZDF, daß die erhobenen Rohdaten um bis zu neun Prozent korrigiert werden. Er spricht einem „Horoskopcharakter“ Ihrer Daten.
Die Rohdaten werden in jedem „Politbarometer“ als Stimmungsbild veröffentlicht. Wir haben nie Daten verheimlicht, sondern wir sind das einzige Institut, das alle Daten zur Verfügung stellt. Die Stimmung wird mit der sogenannten Sonntagsfrage gemessen. Wir stellen darüber hinaus aber eine Vielzahl von Fragen zur Parteinähe des Befragten. Wenn jemand sich als ganz konsistenter Anhänger einer Partei zu erkennen gibt, dann können wir diese Erkenntnis nicht einfach über Bord werfen, wenn er aus momentaner Verärgerung eine andere Wahlabsicht äußert. Das Wahlverhalten ist aber sehr viel stetiger als solche Stimmungsveränderungen. Ulmer nimmt sich das „Politbarometer“ vor und spricht von Wahlprognosen. Doch es sind keine Prognosen, und sie werden auch nie als solche dargestellt.
Bei den Konsumenten kommt das anders an.
Wir können uns nur der deutschen Sprache bedienen. Wenn wir sagen, dies ist ein Stimmungsbild, dann ist es keine Prognose.
Auch Wahlforscher interpretieren die Zahlen oft wie Prognosen. Laut „Forsa“ liegt die FDP zur Zeit bei 4 Prozent. Forsa-Chef Manfred Güllner hat vom wahrscheinlichen Scheitern der FDP an der Fünfprozenthürde gesprochen. Darf man soweit gehen?
Nein, eine solche Aussage kann man nicht machen, und deshalb haben auch mehrere Institute, darunter auch wir, laut gegen diese Interpretation protestiert.
Läßt sich aus den theoretisch denkbaren Fehlerspielräumen für die Bonner Oppositionsparteien noch Honig saugen?
Das Stimmungsbild für die Koalition und die Opposition hat sich seit Ende August nur wenig verändert. Oder mit anderen Worten: Alle Veränderungen liegen innerhalb des Fehlerbereiches. Die Sicherheit, daß ein Trend auch tatsächlich existiert, steigt mit den Zeitreihen, die man dazu hat. Wenn Sie unsere Veröffentlichungen vor den Bundestagswahlen 1987 und 1990 mit dem tatsächlichen Ergebnis vergleichen, dann sehen Sie, daß wir sehr nahe dran waren. Gewählt wird am nächsten Sonntag. Bis dahin ist nichts entschieden.
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