: Eine Frage innerer Größe Von Klaudia Brunst
Ich stehe zu meiner Größe. Einssiebenundachtzig – das hat durchaus seine Vorteile. Man kann beispielsweise die Schränke in der Küche höher hängen und darf auf Gruppenfotos immer hinten stehen. Nur zum Hosenkaufen ist so eine Größe total blöde. Und noch viel blöder ist es, daß die Firma „Levi's & Strauss“, bis vor kurzem der einzige Anbieter einer sogenannten loose fit-Jeans mit angemessener Beinlänge, die legendäre „727“ aus „marktstrategischen Gründen“ unlängst aus dem Programm genommen hat. Nun bietet die Welt des blue demin nämlich nur noch entweder lange Röhren (in die ich wegen diverser, von meiner Freundin durchaus geschätzter Hüft- und Beinkurven nicht passe) oder Beinkleider im Ritter-Sport- Format: quadratisch, praktisch und viel zu schnell zu Ende.
Seit kurzem sind nun meine letzten 727er derart outwashed, daß ich in meiner Verzweiflung schon überlegt habe, sie mit Pelikan-Tinte nachzufärben. Kurz und gut: Eine neue Jeans mußte her. „Kein Problem, du“, meinte Tina, die Verkäuferin von „Jeans am Meter“, „was soll's denn sein? Stonewashed, rockwashed, oder prewashed? Swingfit, loosefit oder shrinkfit? Geknöpft oder mit Reißverschluß? Französisch oder amerikanisch? Black oder blue?“
„Hauptsache, sie paßt“, erwiderte ich schüchtern, und schon stakste Tina mit einem arroganten „Na logo!“ auf ihren high-heels über den Stahlgitterboden, griff hier eine blaue, dort eine schwarze Hose, drückte mir den Stapel schließlich in die Hand und drehte mit einem lässigen „Das wär' mal 'ne erste Auswahl“ in Richtung Kaffeeküche ab.
Natürlich paßte keine. Für die folgende Suche nach meiner Fachverkäuferin wählte ich eine rockwashed Swingfit-Blackjeans zum Knöpfen, die zwar um etliches zu kurz war, dafür aber wenigstens obenrum zuging. Trotzdem war der Schritt aus der Schwingtürkabine entwürdigend. Überall strahlten glückliche Durchschittsmenschen ihr glückliches Spiegelbild an, schlugen sich befriedigt auf die Pobacken und trabten lächelnd in Richtung Kasse. Nur mir paßte mal wieder nix. „Das haben wir gleich“, meinte Tina, von meinem jämmerlichen Ablick völlig unbeeindruckt, legte die Zigarette in den Aschenbecher und machte erneut ihre Runde. „Die kann ich dann ja wohl wieder mitnehmen“, meinte sie mit einem strafenden Blick auf den Hosenberg in meiner Kabine. „Das nächste Mal sagste mir gleich deine richtige Größe, okay?“ Ich wollte gerade erwidern, daß ich sie über meine Problemfigur doch keineswegs im unklaren gelassen hatte, aber da war sie schon wieder bei ihrer Zigarette.
Kurz vor Ladenschluß hatte ich dann endlich das gesamte „Jeans- am-Meter“-Sortiment durchprobiert. Die Diesel Seddle saß oben zwar prima, war aber nur in 32er- Länge vorrätig. Die 726 von Levi's hätte es zwar länger gegeben, ging aber oben nicht zu. Die Edwin Houston hätte ich sofort genommen, aber meine Freundin fand, daß sie einen blöden Bauch mache – und eine Wrangler kommt mir seit meiner Pubertät nicht mehr ins Haus.
Ich hatte gerade meine alte 727 unter dem Hosenstapel hervorgekramt, da kam Tina mit dem nächsten Stapel Denimware an: „Hier wären dann die Jeansröcke“, meinte sie pampig. „Und wehe, die passen dir wieder nicht!“
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