■ Mit Leukämierisiken auf du und du: Zahlenspiele
Berlin (taz) – Mit zehn Tonnen Schrott hat gestern die Bürgerinitiative Geesthacht die Zufahrt zum Schrottreaktor Krümmel versperrt. 1984, 1985 und 1988 ist über dem Dach des Maschinenhauses erhöhte Radioaktivität gemessen worden. Die Daten sind ziemlich zuverlässig und können erklären, warum in Geesthacht mehr Kinder an Leukämie erkrankt sind, als statistisch vorherzusagen gewesen wäre. Kein Mensch bezweifelt nämlich, daß radioaktive Strahlen Blutkrebs auslösen können. Das ist ein guter Grund, Atomkraftwerke sofort stillzulegen.
Weniger gut sind die Gründe, eine offizielle Kommission einzusetzen, um etwas zu beweisen, was nicht zu beweisen ist. Nämlich, daß die Strahlendosis x zu den bestimmten Leukämiefällen a, b, c ... geführt hat. Wer dergleichen verlangt, hat nicht verstanden, worin die besonders große Gefahr gerade der niedrigen Radioaktivitätsdosen besteht. Atomkraftwerke erhöhen unsere statistische Chance, an Blutkrebs zu erkranken. Daraus folgt nicht, daß wir in Grönland gesund bleiben, weil dort weit und breit kein AKW steht.
Dieser Umstand ist natürlich auch der Kommission bekannt, die im Auftrag der niedersächsischen und der schleswig-holsteinischen Landesregierungen die Leukämiefälle von Krümmel untersucht. Sie hat zu diesem Zweck Zellen von Kindern aus Plön (weitab von jedem AKW) und Geesthacht (neben dem AKW Krümmel) nach den Chromosomenveränderungen untersuchen lassen, die bei Kontakt mit radioaktiven Strahlen entstehen können. Die Untersuchung des (inzwischen aufgelösten) Bundesgesundheitsamtes ergab, daß dieser Effekt bei Plöner Kindern häufiger auftrat als bei Kindern aus Geesthacht. Überraschend, aber nicht unmöglich. Ein zweiter Versuch derselben Art, jedoch ausgeführt von der Bremer Universität, führte zu dem in der Tat wahrscheinlicheren Ergebnis, daß die Chromosomenveränderungen in Geesthacht häufiger auftreten.
Schlamperei in Berlin? Postum wehrt sich das Institut zu Recht gegen den Verdacht der Fälschung. Statistisch sind beide Untersuchungsergebnisse möglich. Und beide sind vollkommen irrelevant für die Frage, ob das Atomkraftwerk Krümmel eine Gefahr für Menschen darstellt.
Sie ist längst beantwortet: Stillegen! Niklaus Hablützel
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