piwik no script img

Die Schnüffler vom Dienst

■ IG-Metall warnt Beschäftigte vor Gesundheitsschäden durch Lösemitteln / Betroffene leiden an vorzeitiger Vergreisung und Entzugserscheinungen

Der Maler Erich Fenske freute sich früher immer auf sein Wochenende. Während der Woche litt er unter stechenden Kopfschmerzen und Schwindel, an den zwei Tagen der Woche, an denen er nicht Farbe rühren und Wände streichen mußte, ging es ihm sonst immer gut.

Seit einigen Jahren jedoch werden die freien Tage zur Tortur. Bis Samstag mittag hält es der Mitvierziger gerade noch aus, dann fangen die Hände an zu zittern, er bekommt kalte Schweißausbrüche, wird gereizt und aggressiv. Erst am Montag morgen geht es Fenske besser. Schon kurz nachdem er den süßlichen Duft aus den Farbtöpfen in der Werkstatt geschnüffelt hat, wird er ruhig.

„Ganz klar, der Mann hat Entzugserscheinungen“, sagt Rolf Spaleck, Betriebsratsmitglied beim Bremer Vulkan. Seit 1980 beschäftigt er sich mit Lösemitteln im Betrieb und hat schon etliche Opfer der flüchtigen Stoffe gesehen.

Organische Lösemittel werden in der metallverarbeitenden Industrie, im Schiff- und Flugzeugbau, in der Autoindustrie und in vielen Handwerkerbetrieben eingesetzt. Ein Flugzeugbau-Unternehmen in Bremen ließ 1990 seine ArbeitnehmerInnen allein rund 63 Tonnen organische Lösemittel verbrauchen. Jedes Außenteil eines Flugzeugrumpfes wird mit einem Lösemittel entfettet und gesäubert, dann mit einem lösemittelhaltigen Lack grundiert und angemalt.

Die IG-Metall Bremen sorgt sich jetzt um ihre KollegInnen und startet eine Umfrage unter den in ihren Sprengel fallenden ArbeiterInnen der Metallindustrie. Unter dem Motto „Lösemittel gehen mir auf die Nerven“ will die Gewerkschaft rund 1.000 mit Lösemitteln hantierende ArbeitnehmerInnen befragen. „Viele der Kollegen und Kolleginnen sind sich gar nicht darüber im klaren, welche Gefahren von den Stoffen ausgehen“, meint Harm Ehmke, Betriebsratsmitglied bei der Deutschen Aerospace Airbus.

Zudem nehmen die Berufsgenossenschaften und der Gesetzgeber die Gesundheitsgefahren, die von Lösemitteln ausgehen, nicht ernst. Lösemittel aus Lacken oder Klebstoffen werden durch die Atmungsorgane und die Haut in den Körper aufgenommen. Doch der Zusammenhang zwischen dem Umgang mit dem Gefahrstoff und den gesundheitlichen Folgen ist schwer zu beweisen. Im Körper können sich Lösemittel über Jahre hinweg anreichern, ohne zunächst offensichtlich Krankheiten zu verursachen.

„Meistens fängt es mit Kopfschmerzen an“, sagt Sylvia Schön, Diplom-Biologin, die für die Gewerkschaft arbeitet. Die fettlösenden Eigenschaften der in Aceton, Spiritus, Waschbenzin und Verdünnern enthaltenen Lösemittel, sind im Körper äußerst gefährlich. Die Nervenbahnen sind mit Fett ummantelt, das Gehirn wird von Fett geschützt. Die in den Körper eingedrungenen Lösemittel weichen die Fettschichten auf, greifen Nerven und Gehirn an. „Die Leute vergreisen vorzeitig und vergessen alles“, sagt Sylvia Schön. Geschädigte Arbeiter können die einfachsten Aufträge nicht mehr ausführen, weil sie auf dem Weg vom Meister zum Arbeitsplatz alles vergessen hätten, erzählt Spaleck.

Betriebsärzte und Berufsgenossenschaften schieben derartige Berufskrankheiten gern auf übermäßiges Trinken der ArbeitnehmerInnen. „Das ist eine ganz infame Sache“, findet Harm Ehmke. Die Lösemittelgeschädigten haben teilweise die gleichen Symptome wie Alkoholiker: großporige Haut, geplatzte Äderchen, Vergeßlichkeit. „Man denkt ja dann zunächst, daß man selbst dran Schuld ist – nicht genug frische Luft und einfach falsch gelebt“, sagt Rolf Spaleck.

Die IG-Metall will durch die Fragebogen-Aktion daher erstmal Daten sammeln, um bei den Arbeitgebern Druck zu machen. Außerdem fordern sie vom Gesetzgeber eine bessere Kennzeichnungspflicht der Lösemittel. Die müssen nämlich erst dann mit dem Totenkopf-Symbol versehen werden, wenn ein bestimmter Gewichtsanteil überschritten wird. Doch die meisten eingesetzten Lösemittel sind aus vielen verschiedenen zusammengemixt, die Grammzahl für einzelne Stoffe wird nicht erreicht. Ein tödlicher Cocktail, der nur für Profis zu erkennen ist. fok

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen