: Viel Schwermut im Kreditzeitalter
■ Carlo Goldonis „Trilogie der Sommerfrische“ in der Schaubühne: eine nicht enden wollende Vorstellung im Wassergehege eines höchst eleganten Theater-Zoos
Es ist ein bißchen wie im Zoo während der Fütterungszeiten der Seehunde. Man sitzt auf der Tribüne und beobachtet angeheimelt das drollige Treiben im Wassergehege. Bald findet man, das ist ja genau wie bei uns Menschen, und ist um so entzückter. Nach längstens einer halben Stunde kennt man aber die Spielchen, findet alles immer noch ganz hübsch, würde aber doch gerne gehen.
Die Schaubühne ist ohne Zweifel ein sehr eleganter Zoo. Die Tribünenreihen sind großzügig in diverse Blöcke gegliedert und erheben sich als Pfahlbauten aus einem großen Wasserbassin. Darauf schwimmen Holzplanken, acht rot-weiße Pfähle ragen nach oben und als zweite Spielebene gibt es auch einen Balkon. Tom Schenk hat da ein Theater-Venedig gebaut, das wirklich überwältigend ist, und daß Goldonis „Trilogie der Sommerfrische“ in der Toskana spielt, in Livorno zumeist, macht gar nichts. Man kann in dem Bassin mit einem Boot herumfahren, kann darin schwimmen und am Ende wird sogar eine Wasser-Kutsche hereingezogen.
In solchem Ambiente nun spielen die Schaubühnen-Schauspieler Goldoni. Sie spielen ihn in einer Textfassung des holländischen Regisseurs Erik Vos und auch „nach einem Konzept“ von ihm, wie es im Programmheft verhalten heißt. Das hat mit einer Rückkehr zu den früher sehr viel praktizierten Kollektivproduktionen des Hauses wohl weniger zu tun als mit einer offenbar abgebrochenen Regie. So macht jetzt eben jeder das, was er am besten kann, und Stichwort für Stichwort abhakend, wird Goldoni einfach so gespielt wie das meiste in diesem Theater: mit elegischem Tschechow-Realismus, zum Gähnen schön. Dabei fängt es hoffnungsvoll an. Goldoni zeichnet in seiner 1761 geschriebenen, dreiteiligen Komödie das ziemlich böse Bild einer Gesellschaft von Schwätzern, Schmarotzern, Dummköpfen, Ehrgeizlingen und Aposteln entleerter Ehrbegriffe. Im Zentrum stehen die Geschichte von Leonardo, der sich durch die kostspielige Reise in die Sommerfrische endgültig finanziell ruiniert, und die Geschichte von Giacinta, die sich mit Leonardo verlobt, und an dieser Verlobung festhält, obwohl sie eigentlich Guglielmo liebt. Natürlich gibt es ein Happy- End, das war Goldoni seinem Publikum schuldig, aber er läßt keinen Zweifel daran, wie verlogen und armselig der Kompromiß ist, mit dem der Schein gewahrt werden kann.
Wenn Oliver Stern (in Berlin zuletzt im Schiller Theater engagiert) als Leonardo anfänglich von den einzukaufenden Waren spricht, wenn er hinter seinem Bauch posiert, Standbein und Spielbein wechselt und bei der Nennung von „Kaffee“, „Kakao“ und „Silber“ in eine verklemmte Ekstase gerät, wenn Karoline Eichhorn ihm als seine Schwester in kindlicher Aufgeblasenheit in nichts nachsteht, da glaubt man noch, die Schaubühne hätte tatsächlich den Text zum Kreditzeitalter gefunden und ihn entsprechend brillant und komisch in Szene gesetzt.
Aber in den folgenden Stunden (!) geht es so langsam weiter, daß die komödiantischen Redundanzen (Koffer einpacken, Koffer auspacken, Koffer einpacken) zur Tortur werden. Alle sind gut: Peter Simonischek als Giacintas Vater mit aufgepappter Cyrano-Nase und mümmelnd-nasalem Bernhard-Minetti-Ton, Imogen Kogge als Giacintas schon reife, kluge, liebessehnsüchtige Dienerin Brigida... Aber sie spielen alle in einer anderen Tonlage und viel zu tiefgründig. Sie verwandeln die Oberflächlichkeiten in eine Schwermut, der die Geschichte einfach nicht standhält. Und aus dem einzig wirklich schwermütigen Charakter, Guglielmo, macht Wolfgang Michael gleich einen Werther.
Man dämmert dann so vor sich hin, wird durch ein Feuerwerk mal wieder wachgemacht, fragt sich, warum diese Aufführung nicht abgeblasen wurde, wie es in der Schaubühne zuweilen doch schon mutig praktiziert wurde, was das Bühnenbild wohl gekostet hat, und kann im nachhinein nur raten, sich den Besuch dieser viereinhalbstündigen Aufführung (inklusive zweier Pausen) sehr, sehr gut zu überlegen. Petra Kohse
„Trilogie der Sommerfrische“, wieder heute und morgen sowie 19./20.10., 19 Uhr, Schaubühne, Kurfürstendamm 153, Wilmersdorf
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