: Betreute WGs sind "verstopft"
■ Nervenklinik Spandau stellt Studie zur Enthospitalisierung von PsychiatriepatientInnen vor / Statt der vom Senat geplanten 50 Prozent kommen nur 17 Prozent in einer Wohngemeinschaft unter
Bei der geplanten Entlassung von PsychiatriepatientInnen aus Krankenhäusern gibt es bei deren zukünftiger Unterbringung noch erhebliche Diskrepanzen zwischen der Planung des Senats und der Realität. Dies ergibt sich aus einer Studie der Nervenklinik Spandau, die in Zusammenarbeit mit der Abteilung für Sozialpsychiatrie der Freien Universität und dem Charlottenburger Trägerverein Platane 19 erstellt wurde.
Nach der Vorstellung der Senatsverwaltung für Gesundheit soll die Hälfte der Entlassenen in einer Wohngemeinschaft oder ihrer eigenen Wohnung betreut werden. 20 Prozent sollen in einem Krankenheim und 30 Prozent in einem Wohnheim unterkommen.
Bei der Untersuchung von 100 PatientInnen, die zwischen Januar und September 1994 aus der Nervenklinik Spandau entlassen wurden, ergibt sich jedoch ein anderes Bild: 53 Prozent landeten in einem Krankenheim, 30 Prozent in einem Wohnheim und nur 17 Prozent in einer betreuten Wohngemeinschaft.
„Das Problem ist, daß die betreuten Wohngemeinschaften bereits zu Beginn des Enthospitalisierungsprozesses verstopft sind“, stellte Wolfgang Kaiser von der Nervenklinik Spandau fest. Es sei nicht nur unklar, wie hier neue Plätze geschaffen werden könnten, sondern auch nicht bekannt, welcher Personenkreis derzeit die rund 800 betreuten WG-Plätze belege. „Wenn es sich um chronische Fälle handelt, besteht wenig Aussicht, daß eine nennenswerte Anzahl von Plätzen frei wird“, befürchtet er.
„Der Senat sollte zunächst einmal eine Bestandsaufnahme erstellen, wer gegenwärtig in den betreuten Wohngemeinschaften untergebracht ist und welche Perspektiven sich für diesen Personenkreis abzeichnen“, meint der Wissenschaftler Stefan Priebe (Freie Universität). In den nächsten Jahren sollen insgesamt 1.500 Krankenhausbetten in der Psychiatrie abgebaut werden, also ein Viertel der derzeitigen Kapazitäten.
Doch so unumstritten das Ziel der Enthospitalisierung ist, so unklar ist nach Ansicht der Wissenschaftler noch, wie sie umgesetzt werden soll. Deutlich wurde bei einer Tagung in der Nervenklinik Spandau, daß sich die Lebensqualität der PatientInnen nur dann verbessert, wenn eine adäquate ambulante Versorgung gesichert ist. Denn andernfalls ist zu befürchten, daß entlassene Patienten obdachlos werden oder verwahrlosen.
„Wer sind die PatientInnen? Was brauchen sie? Wo werden sie hingeschickt? Sind sie dort angekommen? Und haben sie dort das bekommen, was sie brauchen?“ umriß die US-amerikanische Expertin Leona Bachrach die Anforderungen an eine ambulante Versorgung. Die verschiedenen Angebote vor Ort müssen nicht nur stärker zusammenarbeiten als bisher, es bedarf auch einer Person, die den Weg des entlassenen Patienten weiterverfolgt: BezugstherapeutInnen sollen sicherstellen, daß die entlassenen PatientInnen weiterhin ausreichend versorgt werden. Nur so lasse sich die notwendige Kontinuität der Behandlung gewährleisten, darin waren sich die Experten einig. Bislang arbeitet in Berlin aber nur ein einziger Träger, die Platane 19, mit BezugstherapeutInnen.
„Ziel muß eine personenzentrierte und nicht eine institutionenzentrierte Versorgung sein“, erläuterte der Bremer Enthospitalisierungsexperte Peter Kruckenberg.
Für die Studie wurden 422 PatientInnen der Nervenklinik Spandau befragt, die seit mindestens einem halben Jahr in der Klinik sind. In einem Fragebogen und in Interviews haben sie über ihre Lebensqualität in der Klinik und ihre Erwartungen an eine Entlassung berichtet. 46 Prozent von ihnen waren zwischen sechs Monate und zwei Jahre lang in der Klinik, 21 Prozent zwei bis fünf Jahre, 14 Prozent zwischen fünf und zehn Jahre, 13 Prozent zwischen zehn und zwanzig Jahre und 6 Prozent sogar über zwanzig Jahre lang. Dorothee Winden
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