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Bremen: Eine Stadt sieht rot

■ SPD: Auferstehung / Grüne stabil / CDU dümpelt / FDP: Sturzflug / PDS für Besserverdienende

Wie in alten Zeiten: Wenn die SPD-AnhängerInnen gestern das Bremer Ergebnis der Bundestagswahl ansahen, fühlten sie sich glatt in die Vergangenzeit zurückversetzt. 45,5 Prozent konnte die SPD im Land für sich verbuchen, so viel wie lange nicht mehr. Es gibt wieder Hochburgen, die StammwählerInnen kommen zurück.

Zurück in die Siebziger: In den Arbeitervierteln und in den Großsiedlungen errang die SPD ihre größten Erfolge. Und doch hätte dieser Höhenflug nicht gereicht, wären nicht die Erststimmenergebnisse gewesen. Ilse Janz, Volker Kröning und Konrad Kunick holten durch die Bank mehr Erst- als Zweitstimmen. Kunick sogar mehr Stimmen als Hans Koschnick vier Jahre zuvor. Nach den Zweitstimmen hätte es nämlich nicht für drei sozialdemokratische Sitze in Bonn gereicht, sondern nur für zwei.

Die CDU dagegen dümpelt weiter um die 30 Prozent. Nach dem Hoch der Bürgerschaftswahl 1991 und dem Einbruch bei der Europawahl ist sie am Sonntag auf mageren 30,2 Prozent hängengeblieben. Gleichwohl reichte es, das Kandidatenduo Neumann und Teiser ins hohe Haus zu schicken.

Lange zittern mußten die Grünen, bis endlich klar war, daß es die Spitzengrüne Marieluise Beck ihr Mandat geschafft hatte, knapp, mit 11,08 Prozent. In Bremen konnten sich die Grünen nach dem Einbruch vor vier Jahren auf relativ hohem Niveau stabilisieren. Sie profitierten zum einen von der Mobilisierung ihrer StammwählerInnen. Im Viertel sind sie nach wie vor stärkste Kraft. Zulegen konnten sie daneben in den gutsituierten Wohngebieten wie Schwachhausen.

Schwere Verluste mußte die Bremer FDP hinnehmen. Im Vergleich zur letzten Bundestagswahl sind die Liberalen von stattlichen 12,8 Prozent auf 7,2 geradezu dramatisch rasiert worden. Manfred Richter hat sein Mandat im Bundestag verloren. Ernsthafte Sorgen muß sich die FDP mit Blick auf den liberalen Ländervergleich machen. Sie ist bis auf die Marge abgerutsch, die auch die Hamburger und niedersächsische FDP erreicht hat – beide Landesverbände sind gerade aus den Landtagen geflogen.

Das beste Ergebnis im Westen hat die Bremer PDS geschafft: 2,7 Prozent. Dabei entpuppte sich die Gysi-Truppe als Partei der Besserverdienenden: In den Arbeitervierteln blieb sie durchweg weit unter fünf Prozent, ihre Erfolge konnte sie in den innerstädtischen Quartieren mit einem überdurchschnittlichen Akademikeranteil und besserern Wohnlagen erreichen.

Die Rechtsparteien spielten am Sonntag nur eine Statistenrolle. Wohin das Potential verschwunden ist, das kann keiner sagen. Eine repräsentative Wahlstatistik hat es diesmal nicht gegeben.

Kommentar von Bremens oberstem Wahlanalytiker Jürgen Dinse mit Seitenblick auf die Bürgerschaftswahl im kommenden Jahr: „Das könnte schon das Potential sein, das die Parteien mobilisieren können.“

J.G.

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