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"Niederträchtig" kopiert?

■ Heute beginnt Kampagne von "Reporter ohne Grenzen" für die Freilassung von inhaftierten Journalisten / Die taz setzt sich für chinesisches Journalistenpaar ein

„Wu Shishen ist die Seele des Verbrechens und der Hauptschuldige gewesen. Er soll entsprechend der Niederträchtigkeit dieses Verbrechens bestraft werden.“ Das Urteil des Pekinger Gerichts gegen Wu Shishen lautete auf lebenslänglich, seine Frau Ma Tao bekam wegen Beihilfe sechs Jahre Gefängnis. Ihr „Verbrechen“: Wu Shishen, stellvertretender Chefredakteur des nationalen Dienstes der staatlichen Nachrichtenagentur „Neues China“, hatte eine Rede von Parteichef Jiang Zemin weitergegeben, seine Frau, ebenfalls Journalistin, soll ihm dabei geholfen haben. Einige Tage bevor der sie auf dem KP-Kongreß im Oktober 1992 halten wollte, erschien die Rede in der Hongkonger Tageszeitung Express.

Kurz darauf wurde die Korrespondentin dieser Zeitung, die gerade von dem Kongreß berichtete, verhaftet und nach einer Woche ausgewiesen. „Neues China“ berichtete, sie habe für „eine hohe Geldsumme“ – umgerechnet etwa 1.400 Mark – ein „äußerst vertrauliches Dokument mit vielen Geheimnissen“ erhalten. Mehrere chinesische Staatsangehörige wurden ebenfalls festgenommen, darunter Wu Shishen und Ma Tao, Redakteurin der China Health Education News. Vor Gericht sollen sich beide schuldig bekannt haben – in China können Angeklagte dann üblicherweise hoffen, weniger Jahre hinter Gefängnismauern verbringen zu müssen. Die Rechnung ging allerdings für Wu Shishen nicht auf. In erster Instanz, am 15. Januar 1993, lautete das Urteil noch auf zehn Jahre Gefängnis, ein halbes Jahr später wurde es auf lebenslänglich erhöht: Er habe schließlich seine Position in der Nachrichtenagentur „mißbraucht“. Parteichef Jiang Zemin soll sich persönlich für ein hartes Urteil eingesetzt haben.

Die taz wird sich der heute beginnenden Kampagne der Menschenrechtsorganisation „Reporter ohne Grenzen“ für inhaftierte JournalistInnen anschließen und mit Veröffentlichungen und Petitionen für die Freilassung des chinesischen Journalistenehepaars eintreten.

In keinem anderen Land der Welt sind ständig so viele Journalisten im Gefängnis – und mit so langen Haftstrafen – wie in China. Selten sinkt ihre Zahl unter zwanzig: dann, wenn gerade die Bewerbung für die Olympischen Spiele ansteht oder sonst ein günstiges diplomatisches Klima geschaffen werden muß. Doch anschließend gehen die Verhaftungen weiter.

Im März wurde in Peking sogar ein Journalist aus Hongkong zu zwölf Jahren Haft verurteilt, wegen angeblichen Verrats von Staatsgeheimnissen. Ein windiger Vorwand für die Einschüchterung der kritischen Hongkonger Presse. Denn die Informationen über bevorstehende Devisenverkäufe Pekings, die Xi Yang in einer der letzten unabhängigen Zeitungen Hongkongs, der Ming Pao, veröffentlichte, hatten vorher ausgerechnet schon in den beiden Blättern gestanden, die als Sprachrohre Pekings in der Kolonie gelten. Michael Rediske/

Heidi Schirrmacher

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