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Erwachsenwerden

■ arte beginnt heute um 20.40 Uhr eine neunteilige Filmreihe

Das zarte Françoise-Hardy- Chanson aus den Sechzigern ist in einer beinharten Heavy-Metal- Fassung als Titelsong dieser TV- Filmreihe zu hören. Klare Sache: „Tous les garçons et les filles de leur age“ – das sind nicht nur knapp neun Stunden Erinnerung von Filmemachern an ihr Erwachsenwerden, das ist vor allem eine ironiefreie Anthologie von Neo- Existentialismus und schwarzer Romantik. Eine seltsam geringe Bedeutung spielt die jeweilige Epoche – von den frühen Sechzigern in der Provinz bis zur „Generation X“ im Banlieue-Ghetto.

In Chantal Akermans Film „Porträt eines Mädchens am Ende der sechziger Jahre in Brüssel“ (am 4. November) klagt Schulschwänzerin Michèle ihrem Deserteur- Freund das Leiden an Liebesstolz, Schweinekotelett mit Kartoffeln und drögen Passanten: „Bei solchen Gesichtern kann es überhaupt nicht knallen.“ Im Sixties- Outfit und mit heiligem Ernst im suchenden Blick wandelt sie durch die Brüsseler Straßen der Neunziger – nicht „Außer Atem“, sondern out of time. Vielleicht hätte man besser Akermans Erstlingsfilm von 1968 gezeigt, als die damals 18jährige in „Saute ma ville“ ihr Alter ego gleich ein Haus mit Gas in die Luft fliegen ließ.

Etwas zeitbezogener wirkt André Téchinés „Der Neue“ (heute 20.40 Uhr), den er an seinem früheren südfranzösischen Gymnasium drehte. 1962: Aus dem unabhängig gewordenen Algerien bringt Henri, der Neue, Unruhe in die Provinz. Der durch Parolen und Kriegserlebnisse abgeklärte Einzelgänger wirkt selbstgefällig, doch sein unbedingter Rigorismus erscheint seinen Mitschülern „wie in einem Spiegel“ (so ein beziehungsreiches Bergman-Filmplakat). Der introvertierte François entdeckt derweil sein Schwulsein. Er geht mit seinem straighten Freund Serge und seiner platonischen, kommunistisch engagierten Freundin Maite eine gedankenreiche Ménage à trois ein. Knappe, schlagende Dialoge, unterkühlte Szenerien der Wünsche und Begegnungen – ein philosophisches Erwachsenwerden-Melodram mit Polit-Touch, jedoch angekränkelt von der Gedanken Blässe.

Zuviel geredet wird auch in „Das unbeschriebene Blatt“ (11. November). Oliver Assayas Episode von 1972 erweist sich bis zum kopierten Schluß fast als Vorgeschichte zu Agnès Vardas „Vogelfrei“. Ein impulsives, frühreifes Mädchen flieht mit ihrem überraschten jungenhaften Freund in den Winter und verschwindet. Das radikale, karge Drama, garniert mit elektrifizierenden Songs von „Suzanne“ bis „Me & Bobby McGee“, läßt die tragische Sinnsuche aufregend wirken: Freedom is just another word for nothing left to lose. Dieter Deul

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