: Schärfen zu Unschärfen
Eine Ausstellung in Köln erinnert an acht beinahe vergessene Fotografinnen ■ Von Gilla Lörcher
Glaubt man Walter Benjamin, dann haben Fotografien keine Aura. Glaubt man der Kunstgeschichte, dann gab es früher keine Fotografinnen. Das 1947 gegründete George Eastman House, das größte Film- und Fotomuseum der Welt, wirkt – anläßlich der photokina – mit gleich zwei Ausstellungen in Köln dem Vergessen amerikanischer und europäischer Fotografinnen entgegen.
Das in Rochester, New York ansässige Museum ist nach dem Kodak-Gründer George Eastman benannt. Der verhalf im Jahre 1888 mit einer leicht zu handhabenden Kamerabox dem „Knipsen für alle“ zum Volkssport. „Sie drücken auf den Knopf, wir machen den Rest“, lautete der Werbeslogan des 25-Dollar-Apparats. Eastman revolutionierte so zwar die Fotografie, nur bei den Porträtfotografen kam keine Freude auf. Hunderttausende, die früher zu ihnen gekommen waren, um sich porträtieren zu lassen, hobbyfotografierten sich von nun an lieber selbst.
Die Ausstellung „Fotografinnen aus Alfred Stieglitz' Camera Work“ widmet sich der Epoche der Kunstfotografie, die etwa zeitgleich mit diesem „Verfall“ der Porträtfotografie entstanden war. Camera Work war eine Kunstzeitschrift, die von dem amerikanischen Fotografen und Publizisten Alfred Stieglitz zwischen 1903 und 1917 herausgegeben wurde und vierteljährlich erschien. Acht Fotografinnen repräsentieren diese wichtige Periode einer Fotografie- Bewegung, die um die Jahrhundertwende im Sinne des Jugendstils arbeitete: Alice Boughton (1865 – 1943), Anne Brigman (1869 – 1950), Mary Devens (1857 – 1920), Julia Margaret Cameron (1815 – 1879), Gertrude Käsebier (1852 – 1934), Ema Spencer (1857 – 1941), Sarah Sears (?) und Eva Watson-Schütze (1867 – 1935).
Zu einer Zeit, als die Frage, ob Fotografie nun reines Hilfsmittel für die Kunst oder selbst eine ernstzunehmende Kunstform sei, noch allgemein heftig diskutiert wurde, verstand die Redaktion von Camera Work die Fotografie längst als eigenständiges künstlerisches Medium. Die Zeitschrift avancierte zum Forum für die aufkommende, „Picturalism“ genannte Kunstfotografie, die versuchte, mit Hilfe bestimmter Druckverfahren wie Bromöl- und Gummidruck die Fotografie dem Stimmungswert eines Ölgemäldes anzunähern. Man kaprizierte sich darauf, die durch das Objektiv gegebenen Schärfen wieder zu Unschärfen zu machen und möglichst sämtliche Konturen wieder verlaufen zu lassen. So wirken die ausgestellten Werke der Fotografinnen wie mit dem Weichzeichner hingehauchte Gemälde. Ihre Sujets sind durchweg dem Impressionismus entlehnt: kleine romantische Belanglosigkeiten inmitten der Natur, ätherische Tanzfeen, Porträts umflort blickender Damen ohne Namen. Und natürlich immer wieder Aufnahmen aus trauten Familienkreisen, wie „Glückliche Tage“ von Gertrude Käsebier aus dem Jahre 1902 – nein, die Welt war keine Falle, und das Leben war herrlich.
Die Fotografinnen glaubten, der Fotografie gerade damit eine besonders künstlerische Note zu geben, die Entstehung des impressionistischen Stils in der Malerei wurde unhinterfragt in die Fotografie hineingetragen. Veredelt wurde dieser Aufwand dadurch, daß die Künstlerinnen ihre Fotowerke – thematisch wie arbeitstechnisch einigermaßen reaktionär – in üppig verschnörkelten Rahmen drapierten. Während die Fotografie für Maler wie Delacroix oder Ingres ein unentbehrliches Arbeitsmittel war, das ihnen die mühsamen Vorstudien und Skizzen ersparte, wollten sich die in Stieglitz' Camera Work veröffentlichten Fotografien von diesem Image eines Hilfsmittels lösen – gerade indem sie sich streng an den Maßgaben der impressionistischen Malerei orientierten.
Glaubt man dem Text zur Ausstellung, waren die Fotografinnen ihren männlichen Kollegen erstmals gleichberechtigt. Vergessen wurden sie dennoch: Die unter großen Mühen zusammengetragenen biographischen Fakten erscheinen mehr als dürftig. In deutschen Publikationen findet, wenn überhaupt, unter dem Stichwort Camera Work neben dem sehr bekannten Edward Steichen allenfalls Gertrude Käsebier Erwähnung. Käsebier, für besonders stimmungsvoll komponierte Landschaftsaufnahmen bekannt, gründete 1910 Pictural Photographers of America, eine dem Stieglitz- Kreis rivalisierende Vereinigung. Während sie die Kunstfotografie verfolgte, wendeten sich Stieglitz und Steichen bereits 1912 von der Kunstfotografie und dem Impressionismus ab und engagierten sich für einen realistischen und sachlichen fotografischen Stil, „Straight photography“, und lösten sich von jeder pittoresken Absicht.
So sehr die Neue Sachlichkeit, Dada, Konstruktivismus und Surrealismus der Kunstfotografie auch zusetzten, blieb sie latent bis in die späten dreißiger Jahre wirksam. Als letzter Verfechter der malerischen Weichzeichnung kann vielleicht noch der britische Fotograf David Hamilton gelten, der in den Siebzigern mit Geschichten wie „Dreams of a young Girl“ die Herzen pädophiler Mitmenschen erwärmte.
Gleich einen Raum weiter beginnt die Ausstellung der 1940 geborenen amerikanischen Fotografin Mary Ellen Mark, die auf der diesjährigen photokina für ihr 25jähriges Arbeiten mit dem Dr.- Erich-Solomon-Preis der Deutschen Gesellschaft für Fotografie ausgezeichnet wurde. „The longer I stay the closer I get“ ist das Motto ihrer Fotografie. Mary Ellen Mark arbeitet stets an langfristigen Projekten und häufig ohne Auftraggeber. Sie ist keine Reporterin und jagt auch keinem Tagesevent hinterher. Sie verfolgt Themen, die sie interessieren, und bevorzugt die Schwarzweiß-Fotografie. International bekannt wurde die Fotografin mit Reportagen wie „Ward 81“. 1971 begann Mark, die Dreharbeiten von Milos Formans Film „Einer flog über das Kuckucksnest“ zu dokumentieren. Sie wußte, daß sie für ihre Filmstills nicht bezahlt würde, hoffte aber, auf diese Weise Zutritt zu einer Psychiatrie zu erhalten. Sie konnte durchsetzen, im Oregon State Hospital zu fotografieren. Sieben Wochen lang lebte die Fotografin dort auf Station 81, der geschlossenen Abteilung für geisteskranke Frauen. „Ich wollte keine Fallgeschichten [...], ich wollte ihre Persönlichkeiten zeigen.“ Mark betreibt eine Art sozial engagierten Journalismus.
Manche werden an die Fotos von Diane Arbus denken, und obwohl Mary Ellen Mark ähnlich wie Arbus Randthemen aufgreift und wie diese in Schwarzweiß arbeitet, grenzt sie sich doch deutlich von jener ab. Sie will keinesfalls ein cool observer des Abweichenden sein und leugnet dennoch nicht die Hierarchien, die sich in ihrer Arbeit zwangsläufig ergeben. Sie will gesellschaftliche Randthemen mit einem „anderen“ Blick festhalten und in einen neuen Kontext setzen – auf der Suche nach dem „Symbol of Something in Everyone's life“; ihre Arbeiten transportieren ihren Respekt vor dem Menschen, den sie fotografiert.
„Fotografinnen aus Alfred Stieglitz' ,Camera Work‘“.
„Mary Ellen Mark. 25 Jahre Fotografie“.
Museum für Ostasiatische Kunst, Köln. Noch bis zum 6. November zu sehen.
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