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In ostischer Kiezatmosphäre

Von der Defa zum Dolby: Marko Wilke, Historiker, Kinokassierer und Pressereferent, hat das Delta-Kino in Mitte neu er- öffnet und will im seitenverkehrten Ambiente ein intelligentes und unterhaltsames Programm zeigen  ■ Von Susanne Bernhardt

„Hier hat er gehangen“, begrüßt mich Richard Kühlhorn schon an der Straßenecke und deutet mit seiner Zigarette auf eine Stelle auf der Außenmauer des gerade wiedereröffnenden Delta-Kinos in Mitte. Von beiden Enden der Wolliner Straße seien sie gekommen, um sich schießend, mit „Haltet- den-Dieb“-Rufen, die dem damals vierzehnjährigen Richard galten.

Er, der versehentlich einen Karton Marmelade hatte mitgehen lassen, obwohl er doch Fett zum Kochen besorgen sollte, flüchtete in den dunklen Eingang des großen Filmtheaters. Seines Arbeitsplatzes übrigens, denn er war von seinem Job als filmrollentransportierender Fahrradbote längst zum anerkannten Filmvorführer aufgestiegen. Still genug hat er sich verhalten damals, so daß die Nazis entnervt die Suche aufgaben. Und dann merkte er, daß ihn ein paar Stiefel am Kopf berührten, in denen Beine steckten. Die Beine gehörten August Stoll, dem damaligen Kinobesitzer, der sich dort erhängt hatte.

Richards Geschichte ist so lang wie die des Delta: 1928 eröffnet, wurde es in den fünfziger Jahren in ein „VEB Filmtheater“ umgewandelt, dessen Projektoren ab 1962 endgültig stillstanden. Danach wurde der Saal als Außenhandelslager der Defa genutzt. Glück im Unglück für diesen Raum, dem mangels Anlasses größere Angleichungen an die geltende DDR-Ästhetik erspart bleiben sollten.

Bald soll an der kiezgrauen Ecke zur Kremmener Straße eine Kopie der historischen Lichtreklame leuchten. Heute weisen uns eine schlichte Außenwerbung und ein improvisiertes Schild mit der verheißungsvollen Aufschrift „Speisung“ den rechten Weg zur Eröffnungsparty. Vor dem Eingang ein symbolträchtiger roter Teppich, der direkt zur perfekt organisierten Party führt. Noch vor dem ersten Blick ein erster Schluck. Beinahe stolpern wir über Marko Wilke, den Inhaber und Gastgeber, der parlierend und gestikulierend hin und her springt auf seiner „halben Baustelle“.

Natürlich hat es noch in der letzten Minute Streß gegeben mit nicht auftauchenden Bautrupps. Der Eingangsbereich ist nicht ganz fertig geworden; auch an der maroden Elektrik muß noch einiges getan werden. Damit nicht „in der Panik mehr Kabel zertrampelt werden, als morgen wieder zusammengesetzt werden können“, steht die angekündigte „kurze Vorführung“ kurzzeitig auf dem Spiel.

Trotz aller Wirren dann doch die Generalprobe. Während die Gäste schon mit den kerzenbeleuchteten Speisen liebäugeln, bringt die Technik schließlich eine unverglaste und daher ratternde Vorführung aktueller Filmtrailer zustande. Die anwesenden Kinobetreiber, Verleiher und Freunde applaudieren, dann beginnt die Schlacht am kalten Büffett.

Dort, wo im Saal noch bis in die vierziger Jahre ein Orchestergraben eingelassen war, wurde in den sechziger Jahren ein Plaste-Anbau unbestimmten Nutzens errichtet. Auch baurechtlich so unverwüstlich, daß das neue Delta sich nun seitenverkehrt präsentiert: vor den ehemaligen Rängen ist heute die Leinwand gespannt.

Der Vorführraum wurde komplett neu ausgebaut; hinter original erhaltenen Stuckpartien verbirgt sich nun High-Tech: ein Ememann 15-Projektor samt Dolby-SR-Tonanlage. Knapp 200 knallgrüne schlupfige Sessel sind steil genug angeordnet, um auch Mammutwerke ohne Halsverrenken oder Hexenschuß durchzustehen. Die Decke des acht Meter hohen Saals ist originalgetreu vertäfelt und vermittelt noch einen Hauch vom alten Glamour.

Nostalgische Kantinenatmosphäre verströmt die halbhohe Wandverkleidung, im sympathischen Kontrast zum üppig-barocken Vorhang. Ostische Kiezatmosphäre, aber „das Delta will bewußt kein Off-Kino sein“, sagt Wilke. Es fehle an Kinos, die ein professionelles, intelligentes und unterhaltsames Programm bieten können. Daß sich Anspruch und Amüsement ausschließen sollen, hält er für eine ausgediente Humorlosigkeit.

Auf den Film gekommen ist Marko Wilke, seit er nach einem Geschichtsstudium in Leipzig in der „Wendeschleife“ in verschiedenen großen Berliner Kinos kassierte, vorführte, schließlich die Öffentlichkeitsarbeit übernahm. Für den Filmspiegel arbeitete. Sich für alte Kinos begeisterte, „wie andere Leute Tiere quälen“. „Goldgräberstimmung“, als er in Archiven schließlich auf das Delta stößt. Ungeklärte Eigentumsverhältnisse und fest installierte Sauerkohl-Platten hat er mit Enthusiasmus und Unterstützung der Filmförderung bezwungen.

„Qualität und Service“ will er bieten: täglich werden zwei aktuelle Hauptfilme zeitversetzt in jeweils beiden Abendveranstaltungen laufen. Nachmittags gibt es Kinderfilme, sonntags Matineevorstellungen älterer und neuerer Klassiker: im Augenblick „Grüne Tomaten“ mit Kathy Bates und Jessica Tandy. Richard Kühlhorn allerdings kapert vermutlich irgendwann kurzfristig den Vorführraum, bewaffnet mit ein paar alten Defa-Klassikern. Damit endlich mal wieder richtiges Kino gemacht wird im Delta.

Delta-Kino, Wolliner Straße 18/19, Tel: 0172-312 35 75.

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