Tokajer ohne Trinker

Ausländische Konzerne sorgen dafür, daß der ungarische Tokajer vom Markt verschwindet, ohne Rücksicht auf die arbeitslosen Winzer  ■ Aus Wien Karl Gersuny

Die Rebe zählt zu den großen Weinen der Welt: Der ungarische Tokajer ist unter seinen Verwandten im Südosten Europas der einzige Traubensaft, der seit Jahrhunderten in den westlichen Weinkellern von Adelsherren und Kirchenfürsten gelagert wird. Kein rumänischer, jugoslawischer oder bulgarischer Tropfen erreichte je ähnliche Berühmtheit. Schon Franzosenkönig Louis XIV. verehrte die Sorte als „Königin der Weine“ und wollte die edlen Rebstöcke in seinem Reich anpflanzen lassen, doch alle Versuche mißlangen. Der Tokajer wollte in Bordeaux nicht gedeihen, und die wenigen Hänge im Elsaß, auf denen seit Anfang des Jahrhunderts der Tokay d' Alsace angebaut wird, fallen bei der großen französischen Weinproduktion nicht ins Gewicht.

Doch heute hegen französische Aufkäufer neue Pläne mit dem Tokajer. In den vergangenen drei Jahren kauften sie ein Drittel des ungarischen Staatsgutes „Tokajhe gyaljai Borkombinat“ auf und ließen es hauptsächlich brachliegen.

Vor allem der französische Weinkonzern „Grands Millesmies de France“ (GMF) hat ergeizige Pläne und will in den kommenden Jahren etwas über die Hälfte der 170.000 Hektar bestöckten Rebfläche Ungarns aufkaufen, um auf diese Weise in Ungarn das Monopol über die Traubenproduktion von etwa 5,2 Millionen Hektolitern Rebensaft zu erwerben. Ein Geschäft, dem die Budapester Regierung – wohl aus einer Notlage heraus – ihre Zustimmung gibt.

Waren es vierzig Jahre lang die Kommunisten, die den Verkauf des Tokajer auf dem westlichen Markt nahezu verhinderten und dafür zwischen fünfzehn und zwanzig Millionen Flaschen in die ehemalige Sowjetunion und in die verbündeten Bruderstaaten lieferten, sind es heute Protektionsmaßnahmen der EU-Staaten Italien und Frankreich, die den Ungarn die Tore verschließen. Rom und Paris produzieren zum einen seit Jahren Weinüberschüsse, zum anderen setzten sie in Brüssel durch, daß ohne Zustimmung ihrer Regierungen keine Weinprodukte nach Westeuropa eingeführt werden dürfen.

Um die freie Weltmarktkonkurrenz einzuschränken, unternehmen vor allem Konzerne wie GMF alles, in bestehende Märkte einzubrechen und sie brachzulegen. Im Falle von Ungarn scheint es den Managern allein darum zu gehen, die Tokaj-Region unter ihre Kontrolle zu bringen, um je nach Bedarf Wein kellern zu lassen oder auch nicht.

Auf die fünfzehntausend Weinbauern, die bis 1990 dem ungarischen Staatskombinat unterstellt waren, wird keine Rücksicht genommen. Zwar hatten sie nach der Wende das Recht, die vor vierzig Jahren verstaatlichten Weinberge mit Sonderpreiskupons zurückzukaufen, doch vor der zahlkräftigen französischen Konkurrenz mußten sie letztlich doch passen.

Seitdem bangt die Hälfte der Bauern um ihre Existenz, denn auf den kleinen Parzellen, die sie nach der Reprivatisierung erstanden hatten, fällt die Weinernte für die kommerzielle Vermarktung des Tokajer zu mager aus. Die Gründe dafür sind vielfältig: Seitdem die Budapester Regierung und der französische GMF-Konzern ihre Finger im Spiel haben, ist den Bauern der eigene Zugang zu internationalen Märkten verschlossen, und in den verarmten Osten läßt sich auf eigene Faust und ohne staatliche Mithilfe kein Tokajer absetzen.

Auf dem heimischen ungarischen Markt wiederum kommt die Edelsorte, zu deren Herstellung dem normalen Most zerquetschte, wie Rosinen eingetrocknete Beeren beigegeben werden müssen, nicht an. Denn der ungarische Normalbürger kann sich ein hand- und frostgelesenes Weinprodukt von solcher Qualität nicht leisten, er muß auf einfachere Marken wie „Furmint“ oder „Harslevelü“ umsteigen oder im eigenen Rebengarten einmosten.

So bleibt trotz der Wertschätzung unter Weinliebhabern die Tokaj-Traube bis auf weiteres auf dem alten Kontinent ein Geheimtip, unerschwinglich bei den Einheimischen und verdrängt durch das französische Weinkartell.