Im Westen vergessen, im Osten Kultfigur

■ Vor fünfzig Jahren wurde der Ringer Werner Seelenbinder hingerichtet / Der Bezirk Neukölln hat kein Interesse an einer öffentlichen Ehrung des Kommunisten

Wenn sich heute zum fünfzigsten Male der Todestag des in Berlin aufgewachsenen Ringers Werner Seelenbinder jährt, wird das kaum auf öffentliches Interesse stoßen. Am 24. Oktober 1944 wurde der Sportler von den Nationalsozialisten im Zuchthaus Brandenburg hingerichtet. In der Regel werden große Persönlichkeiten der Stadt solchen Anlässen entsprechend geehrt. Nicht so Seelenbinder, denn er besitzt einen für die heutige Zeit verheerenden Makel: Der Sportler Werner Seelenbinder war Kommunist.

Am 2. August 1904 in Stettin geboren, zog Seelenbinder 1910 mit seiner Familie in die damalige Reichshauptstadt Berlin. Er wuchs in proletarischen Verhältnissen auf und schloß sich 1917 der Arbeitersportbewegung an. Ab Mitte der zwanziger Jahre rang er für den heute noch existierenden SC Berolina 03 in Neukölln. Seit 1928 war er Mitglied der KPD. Im Gegensatz zu vielen anderen Arbeitersportlern setzte er seine erfolgreiche sportliche Karriere auch nach 1933 fort. Er nutzte seine Wettkampfreisen zur Widerstandsarbeit für die verbotene KPD. Im Februar 1942 schließlich wurde er von der Gestapo verhaftet und nach zweieinhalbjähriger Haft vom Volksgerichtshof zum Tode verurteilt.

Nur eine kleine Gedenktafel in Neukölln

1945 wurde seine Urne auf dem Gelände des Stadions Neukölln an der Oderstraße beigesetzt. Das um eine Radrennbahn erweiterte Stadion wurde 1946 ihm zu Ehren in Werner-Seelenbinder-Kampfbahn umbenannt. In den Zeiten des Kalten Krieges verschwand der Stadionname alsbald wieder, und Seelenbinders Grab verwahrloste zusehends.

Erst 1983 wurde die Grabstätte vom Bezirk Neukölln wiederhergerichtet. Verschiedene Initiativen linker Bündnisse scheiterten in den folgenden Jahren mit dem Plan, das Stadion wieder nach Seelenbinder umzubenennen, am Widerstand der Neuköllner Bezirksverordnetenversammlung. Mit der Wiedervereinigung fanden diese Bemühungen ein jähes Ende. Wenigstens bescherte das „Gedenktafelprogramm“ des Berliner Senates anläßlich der 750-Jahr-Feiern dem Ringer 1992 eine dieser Tafeln an seiner ehemaligen Trainingsstätte in der Neuköllner Thomasstraße.

Gänzlich anders wurde mit dem Erbe des Ringers in der ehemaligen DDR umgegangen. Dort war Seelenbinder zur Kultfigur des kommunistischen Widerstandes hochstilisiert worden. Die DDR- typische Überhöhung seiner Person brachte seit 1990 auch die nach ihm benannte Sporthalle im Bezirk Prenzlauer Berg ins Blickfeld der Umbenennungsbemühungen. Letztlich beendete die olympische Abrißbirne diese Diskussionen.

Ob zukünftig eine ideologisch unbelastete Einordnung Werner Seelenbinders möglich sein wird, ist fraglich. Während der Bezirk Neukölln keine Ehrung des Ringers vornehmen will, „Kranzniederlegungen vom Bezirk aus sind nicht üblich“ (Sportstadtrat Buschkowsky), scheint der Landessportbund (LSB) mit dem Ringer Frieden schließen zu wollen. Zusätzlich zur heutigen Kranzniederlegung wird Seelenbinder eine ausführliche Würdigung in der Verbandszeitschrift des LSB erfahren. Andreas Pfahlsberger