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■ Nicht nur die Geschichte des Telefons: "Fern-Sprechen" - Ein Reader zur internationalen Fernmeldegeschichte
„Diejenigen, die ihre Vergangenheit vergessen, sind dazu verdammt, sie zu wiederholen“, sagt ein englisches Sprichwort. Im Bereich der Neuen Medien ist das besonders wahr: Unbelastet von historischen Kenntnissen diskutieren derzeit selbsternannte Experten über die Multimedia-Gesellschaft, die anscheinend kurz bevor steht und uns die vielzitierten 500 TV-Kanäle, interaktives Fernsehen und audiovisuelle Kioske bescheren wird. Ein Blick in die Literatur zum Telefon, einem etwas älteren neuen Medium, wirkt da eher ernüchternd: In Deutschland dauerte es über 50 Jahre, bis jeder zehnte ein Telefon besaß, wie man jetzt aus dem Reader „Fern-Sprechen“ erfährt.
Der Frankfurter Medienhistoriker Jörg Becker hat in diesem Buch 25 Beiträge zu der Geschichte des Telefons zusammengestellt. Einige der Essays sind zwar eher von akademischem Interesse, aber Aufsätze wie der des Herausgebers über die Zukunft des Telefons können in der gegenwärtigen medienpolitischen Debatte durchaus weiterhelfen: Becker weist nach, daß die meisten Vorhersagen über die Entwicklung des Telefons und andere neue Medien grob danebenliegen. Denn bisher schreiben die Prognose-Institute einfach gegenwärtige Trends fort oder forschen im Interesse ihrer Auftraggeber. Die 500 Kanäle könnten also durchaus noch etwas auf sich warten lassen.
Und selbst wenn sie schon bald kommen, werden sie vielleicht ganz anders benutzt, als es geplant war. In Budapest wurde das Telefon zum Beispiel Ende des letzten Jahrhunderts zuerst als Massenkommunikationsmedium benutzt: Per Telefon konnte man damals Nachrichten und Dichterlesungen abhören, statt individuell zu kommunizieren, wie der ungarische Medienwissenschaftler Miklos Szabo beschreibt.
Aber auch zur gegenwärtigen Situation der Telekommunikation findet man in „Fern-Sprechen“ wichtige Beiträge: Der amerikanische Publizistik-Prof. Jay Rosen philosophiert über die „Soziologie des Anrufbeantworters“, und Armin Hessler beschreibt die Kontroversen in den USA über die Anrufer-Identifizierung per ISDN „Fern-Sprechen“, nicht nur eine stundenraubende Freizeitbeschäftigung, sondern nun auch eine interessante Lektüre, die leider in beiden Fällen nicht gerade billig ist. Tilman Baumgärtel
Jörg Becker (Hrsg.): Fern-Sprechen – Internationale Fernmeldegeschichte, -soziologie und -politik, Vistas Berlin 1994, 98 Mark.
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