25. Oktober 1989: Gegenangriff
■ Fünf Jahre danach – eine taz-Serie
Die neue Staats- und Parteiführung läßt langsam die Katze aus dem Sack. Es paßt den Herren nicht, daß sich die Menschen die Straße erobert haben. Das Neue Deutschland kommentiert die Ereignisse der letzten Tage unter der Überschrift: „Wir brauchen den Dialog, nicht Unruhe und Gebrüll.“ Im Text heißt es: „Berliner Bürger fragten, wann endlich Schluß sein werde mit den schweren Störungen von Ruhe und Ordnung.“ Man könnte lachen, würde da nicht, versteckt hinter angeblichen Forderungen von Bürgern, der Einsatz von „Polizei und Sicherheitskräften“ gefordert.
So haben sie sich das also gedacht: ein paar Figuren auswechseln und dann zur Tagesordnung übergehen. Die Auseinandersetzung von der Straße zurück in die Versammlungssäle drängeln, damit keiner mehr sieht, wie viele da protestieren. Die Herren im Politbüro wollen plötzlich selber die größten Erneuerer im Lande sein. Ich war schon seit Tagen mißtrauisch, wann immer ich hörte, daß regionale Parteifürsten plötzlich an der Spitze von Demonstrationen mitliefen. Das Mißtrauen ist berechtigt. Am Abend bringt es Schabowski in den Tagesthemen auf den Punkt: „Wir halten überhaupt die Straße nicht für den geeigneten Ort des Dialogs.“ Natürlich nicht. Da sehen die Funktionäre ja keinen Stich mehr. Die Verteidigung der Straße, des öffentlichen Raumes, ist das Wichtigste, was jetzt geschehen muß. Wenn das nicht gelingt, gelingt nichts mehr. Wolfram Kempe
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