: Ein Odium von Verfassungswidrigkeit
■ Durch ihre zwölf Überhangmandate mußte die CDU weitaus weniger Wählerstimmen pro Bundestagsmandat erringen als andere Parteien / Dennoch will die SPD die Wahl nicht anfechten
Frankfurt/Main (AP) – Trotz einer möglichen Verfassungswidrigkeit der 16 Überhangmandate im Bundestag werden die Sozialdemokraten nach Einschätzung des Vorsitzenden des Wahlprüfungsausschusses im Bundestag, Dieter Wiefelspütz, die Bundestagswahl nicht anfechten. Er halte es für ausgeschlossen, daß seine Fraktion das Wahlergebnis als verfassungswidrig zurückweisen werde, sagte Wiefelspütz gestern.
Der SPD-Politiker reagierte damit auf die Ankündigung des Frankfurter Staatsrechtlers Hans Meyer, er werde das Ergebnis der Bundestagswahl anfechten, weil er es für verfassungswidrig halte. Denn die Verteilung der insgesamt 16 Überhangmandate an CDU und SPD verstoße gegen die Wahlgleichheit. Immerhin mußten die Grünen nach Berechnungen des Spiegel bei der letzten Bundestagswahl etwa 4.000 Stimmen mehr zusammenbringen, um ein Bundestagsmandat zu erlangen, als die Christdemokraten.
Wiefelspütz erklärte: „Ich bin dagegen, daß man im nachhinein ein Wahlergebnis in Frage stellt, das nach einem Wahlrecht zustande gekommen ist, das wir alle im Parlament so gewollt haben.“ Dennoch müsse im Innenausschuß des Bundestages jetzt darüber diskutiert werden, ob bei künftigen Wahlen Überhangmandate nicht durch Ausgleichsmandate ausgeglichen werden müßten. Dabei sei allerdings zu beachten, daß diese Maßnahme ein Parlament erheblich vergrößere.
Ohne Berücksichtigung der Überhangmandate würde die Mehrheit der Regierungskoalition von CDU/CSU und FDP im Bundestag von zehn auf zwei Sitze reduziert. Überhangmandate entstehen, wenn eine Partei mehr Direktkandidaten in den Wahlkreisen durchbringt, als ihr nach den Zweitstimmen zustehen.
Staatsrechtler Meyer erklärte, die Aufteilung der 16 Überhangmandate verstoße zwar nicht gegen das Bundeswahlgesetz. Nach seiner Ansicht hätte der Bundestag das Gesetz aber ändern können, nachdem das Bundesverfassungsgerichts 1988 Überhangmandate für unbedenklich erklärt hatte, solange das Wahlergebnis nur unwesentlich beeinflußt wird.
Innenminister Schnoor erklärte gestern in Düsseldorf, die Stimmen je Bundestagsmandat für die einzelnen Parteien seien „eklatant ungleichgewichtig“. Die engen Grenzen zwischen der Partei mit der geringsten und der höchsten Stimmenzahl, die die Verfassungsrichter 1988 als Bandbreite zugelassen hätten, seien bei dem Wahlergebnis vom 16. Oktober „eindeutig nicht mehr eingehalten“, kritisierte der SPD-Politiker. Er forderte die im neuen Bundestag vertretenen Parteien auf, sich so schnell wie möglich zusammenzusetzen, um einen Ausweg aus dieser Situation zu finden. „Ansonsten sehe ich die Gefahr, daß die nächsten Entscheidungen des Gesetzgebers mit dem Odium der Verfassungswidrigkeit behaftet sind.“
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