: New Age hoffentlich auch nicht
■ Einordnen kann ihre Musik nicht mal die GEMA: Cluster, Berliner Psychedeliker der ersten Stunde, haben sich reformiert
In Berlin, wo sie herkommen, kennen sie nur noch wenige: die „Elektronik-Avantgarde-Band“ (so nennt man sie in Feuilletons) Cluster, bestehend aus Hans Joachim Roedelius – er wird heute sechzig –, dreifacher Vater, 1968 noch Kommunarde und Mitbegründer des Zodiak Kunst und Aktionszentrums, und dem zehn Jahre jüngeren Dieter Moebius, „nach wie vor Atheist und der Punker von uns beiden“. Der spanischen Zeitung „La Vanguardia“ waren sie immerhin euphorische Töne wert, als sie vor kurzem in der Miró-Stiftung in Barcelona ihr Reunion- Konzert gaben. An der Aufführungspraxis der Musiker hat sich in 25 Jahren nicht viel mehr geändert, außer daß beide heute eine Lesebrille brauchen, um Tasten, Knöpfe und Regler im Halbdunkel unterscheiden zu können.
taz: Für die spanische Presse seid ihr „máximas figuras“, Schlüsselfiguren der deutschen Gegenwartsmusik; in den deutschen Rock- und Popgeschichten erscheint ihr, wenn überhaupt, im Kleingedruckten. Warum feiert ihr Reunion in Barcelona und nicht in Berlin?
Roedelius: Wir waren im Ausland immer bekannter als in Deutschland. In den USA, Frankreich und Italien, sogar in Australien und Japan haben wir mehr Platten verkauft. In Deutschland sind wir doch vergessen.
Moebius:Ich weiß nicht, ob das was zu tun hat mit dem Propheten im eigenen Land. In Berlin haben wir seit 1969 nicht mehr als Cluster gespielt. Unser erstes Konzert, zwölf Stunden im Europacenter, war gleichzeitig auch unser letztes. Am nächsten Tag sind wir abgehauen nach Westdeutschland.
Dort habt ihr dann gleich Schallplatten aufgenommen, mittlerweile sind es fast sechzig. Trotzdem müßt ihr euch Sorgen um die Rente machen.
Roedelius: Wir bringen gerade wieder eine Platte in den USA heraus, „One hour with Cluster“ (in Deutschland Anfang 1995 bei Prudence), davon werden 5.000 gepreßt, das ist viel für uns. Wir haben sogar 5.000 Dollar Vorschuß gekriegt und bekommen fast zwei Mark pro Platte.
Moebius: Darüber freuen wir uns, denn wir verkaufen im Schnitt nur 2.000 Stück. Nur die beiden Platten von 1977 mit Brian Eno sind zusammen 100.000 mal verkauft worden. Die ersten beiden Scheiben haben wir 1970 in Düsseldorf in einer Nacht gemacht.
Die sind bei Schwann herausgekommen, einer katholischen Plattenfirma. Uns war es damals egal, daß die auf der Rückseite noch religiöse Texte draufgepreßt haben.
Im Juni 1970, noch als Trio mit Conrad Schnitzler, habt ihr im Münchner Kunstverein gespielt. Die „Süddeutsche Zeitung“ schrieb wohlwollend: „Was die drei Musiker aus gestrichenen und gezupften Saiteninstrumenten, einer Elektronenorgel, kleinen Holzflöten, einem mit dem Bogen gestrichenen Becken und einer Bongo in die Verstärker schickten, ergab durch eine Fülle technischer Manipulationen etwas wirklich ganz Neues.“
Moebius: Als wir den Artikel gelesen haben, da haben wir erst einmal gemerkt, was wir für eine Musik machen. Dieser Artikel hat uns viele Türen geöffnet auf der „Wanderschaft“ durch Deutschland und Europa. Ansonsten hat die deutsche Presse uns kaum beachtet. Einmal, 81 glaube ich, haben wir in der Hamburger Kunsthalle ein Konzert gehabt. Da titelte die Bild-Zeitung „Lärmsäge im Treppenhaus“. Darauf bin ich heute noch stolz.
Heute zählt man euch zu den Pionieren der Elektronikmusik, bringt euch mit Techno und New Age in Verbindung oder auch mit Stockhausen. Was war euer Konzept?
Roedelius: Unser Konzept war immer, kein Konzept zu haben, wir haben immer drauflosgespielt, live geübt. Unsere Konzerte waren immer rehearsels, immer ein Drahtseilakt ohne Netz. Wir sind ja nicht immer in Stimmung.
Moebius: Manche Zuhörer kamen auch mal auf den Horror. Ich konnte unsere Musik noch nie einordnen, das kann noch nicht einmal die GEMA. Die führen Roedelius als E-Musiker und mich als U-Musiker, deshalb kriege ich auch weniger Geld.
Ich könnte nie über die Lippen bringen, ich mache elektronische Musik. Ich hab damals doch mit Edgar Froese die Gitarre geschrammelt. Wir haben mit Naturinstrumenten angefangen, mit Mikrofon abgenommen, als wir losgelegt haben, gab es doch noch gar keine Synthesizer. Wir haben uns irgendwas ausgedacht, um die Töne zu verwirklichen, die wir im Kopf hatten.
Roedelius: Na klar, Tangerine Dream war doch ein richtiges psychedelisches Orchester. Erst als sie elektrisch wurden, waren sie nicht mehr auszuhalten.
New Age machen wir hoffentlich auch nicht. Ich würde mich gerne in die New-Age-Liste mit einverleiben lassen, wenn die Musik nicht nur seicht wäre und einfach nur so dahinplätscherte. Eine Musik, die auch hinterfragt und nicht nur Harmonie provoziert und keine Breaks kennt.
In manchen Fanzines tauchst du in letzter Zeit als Vater des deutschen Techno auf...
Moebius: Ich lehne dankend ab. Was man da den Leuten zumutet und was die sich selber gerne zumuten, das ist doch brutal, unverantwortlich.
Aber ihr habt das doch schon alles mitinitiiert...
Moebius: Wir waren ja keine vorsätzlichen Täter. Was da draus wird, das hat man nicht mehr im Griff. Ich persönlich habe zu Hause noch ein altes Telefon, weil ich das moderne Elektronikgebimmel nicht mag.
Die Labelmanager sind einfach überfordert, gerade mit dem heutigen Homestudio-Trend. Jedes Bubilein mit reichen Eltern bekommt heute doch ein Studio zu Weihnachten. Da machst du das Keyboard an, und schon kommt alles fertig raus. Die Plattenfirmen kriegen 50 Kassetten am Tag und haben keinen Durchblick mehr.
Da leiden auch welche drunter, die sich ihr Leben lang mit der Sache auseinandergesetzt haben und die es gar nicht so einfach haben. Am Ende landet man in einem Topf und wird zu einem Brei verrührt.
Roedelius: Wir kommen aus der Flower-power-Bewegung, aus einem Aufbruch, einer Veränderung heraus. Ich hoffe, daß uns diese Flexibilität und Offenheit, von der wir damals ausgegangen sind, erhalten bleibt, wir wollen nicht starr auf einer Linie blieben.
Wir versuchen dem elektronischen Ton diese Armut zu nehmen. Die Mittel, mit denen wir angefangen haben, das Zischen und Rauschen, das war schon grobes Zeug. Da sind wir Pioniere, da ist schon Terra incognita, auf der Suche nach der Qualität des elektronischen Tons. Das ist eine heikle Geschichte, man ist ja verantwortlich als Künstler. Interview: Stefan Scheuermann
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