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„Bauwagengesetz ist untauglich“

■ Überholte Paragraphen verschaffen Hamburgs „Bauis“ ein unsicheres Dasein und einer Bezirksamtsleiterin Unbehagen

Mit dem ersten Frost beginnt der Überlebenskampf. Hunderte von Obdachlosen müssen sich im bevorstehenden Winter einen warmen Unterschlupf suchen, um Minustemperaturen zu überstehen. Auch Sebastian aus Hamburg hat keinen festen Wohnsitz, aber immerhin ein Dach über dem Kopf. Mit ausreichend Brennholz und Kohle will der 22jährige in seinem Bauwagen der Kälte trotzen. „Wer seinen Wagen vernünftig isoliert, muß im Winter nicht frieren“ – davon ist er überzeugt.

Gemeinsam mit neun anderen Wagenbewohnern hat Sebastian sich auf einem freien Grundstück am Paciusweg in Eimsbüttel breit gemacht. Sie alle haben einen warmen Schlafplatz. Ob sie ihn aber auf Dauer behalten können, ist nicht sicher. Sebastian ist umgezogen, als der Eigentümer des alten Platzes in Altona mit Räumung drohte. Denn Hamburgs Wohnwagengesetz von 1959 verbietet es, auf eigenen oder fremden Grundstücken auf vier Rädern zu leben. Kaum hatten die Wagenbewohner ihr neues Quartier eingerichtet, kam die Strafanzeige des Bezirksamts plus Räumungsankündigung.

Doch dann fand sich eine überraschende Lösung des Konflikts: „Wir haben angeboten, den Platz zu pachten“, sagt Eimsbüttels GAL-Fraktionschef Ernst Medecke. Das Bezirksamt stimmte zu, Medecke als Privatperson das Grundstück zu überlassen. Und der will das Wagendorf nicht antasten. Medecke: „Die Probleme beginnen aber erst, wenn die Leute aus der Waterloostraße dazukommen – dann wird es nämlich eng.“ Dieser Zuwachs war eine Bedingung des Bezirksamtes für den Pachtvertrag. Denn die Bauwagenburg an der Waterloostraße muß weichen, weil dort jetzt gebaut werden soll.

„Wir machen die Augen zu und lassen die Leute da wohnen“

Mit der Verpachtung sind allerdings nicht alle Schwierigkeiten aus dem Weg geräumt. Das Bezirksamt hat laut Vertrag – und ganz im Sinne des Wohnwagengesetzes – das Grundstück nur „zum Zwecke der Abstellung von Fahrzeugen“ verpachtet. „Das Wohnen in den Wagen ist damit nicht gedeckt“, sagt Eimsbüttels Bezirksamtsleiterin Ingrid Nümann-Seidewinkel. Ihre Lösung für die problematische Rechtslage ist dennoch einfach, wenngleich sie ihr nicht ganz behagt: „Wir machen die Augen zu und lassen die Leute dort wohnen.“

Wohler wäre der Bezirksamtsleiterin, wenn das Wohnwagengesetz auf aktuelle Probleme zugeschnitten würde – gerade in einer Stadt, in der seit Jahren Bauwagenbewohner von einem Platz zum anderen ziehen müssen. „Sinn des Gesetzes war mal, Sinti und Roma zu vertreiben. Heute ist es untauglich“, glaubt Nümann-Seidewinkel. Das meint auch Pächter Medecke, der das Gesetz gern abgeschafft sähe: „Viele Wagenbewohner haben wegen des Wohnungsmangels ihre jetzige Lebensform gewählt. Das Gesetz geht aber davon aus, daß genug Wohnraum vorhanden ist.“

Der SPD-Bürgerschaftsabgeordnete Günter Mertens hält das Wohnwagengesetz ebenfalls für überholt: „Wir müssen das ändern, um die vorhandene Situation zu ordnen.“ Der Senat könne nicht, wie schon geschehen, Wagenplätze finanziell unterstützen und dennoch das Gesetz beibehalten: „Die Wagendörfer müssen legalisiert werden.“ Daß damit, wie die Gegner dieser Lösung meinen, eine Sogwirkung ausgelöst und „Slums“ entstehen könnten, glaubt der SPD-Abgeordnete nicht. Mit seiner Meinung steht er aber selbst in seiner eigenen Fraktion fast allein da: „Da habe ich keine Mehrheit gefunden“, faßt Mertens die für ihn noch unbefriedigende Resonanz zusammen.

Kai Portmann/Kai von Appen

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