: Es tut weh, verloren zu haben
■ betr.: „Heym kann sich bei Kohl bedanken“, taz vom 18.10.94
Ich war nie Stütze des Systems in der DDR, habe mir aber eine eigene Meinung zur Auseinandersetzung Thierse/Heym im Bundestagswahlkampf gebildet, die allerdings von der W. Thierses abweicht. Er, der gute Mensch vom Kollwitzplatz, sieht sich als Opfer von Haßausbrüchen und herabwürdigenden Bemerkungen von seiten der PDS: Ich kann mich aber durchaus an eine Kampagne erinnern, die vor beleidigenden Attacken gegen Heym nicht zurückschreckte, noch am 18.10 zitiert die taz Heym-Gegner mit Sprüchen wie: die „PDS-Tunte“, die „Schwabbelperson“, da werden Sargnägel für den Dichter in alle Haushalte verschickt und so weiter.
Die SPD hat mit einem riesigen Werbeaufwand gegen den Dichter gekämpft, eine eigene Bürgerinitiative für Thierse ins Rennen geschickt und noch zwei Nächte vor der Wahl die Straßen mit frischen Plakaten zugepflastert. Da tut es natürlich weh, verloren zu haben, schuld daran können nur die alten Stützen des Systems sein. Kein Wort darüber, daß der potentielle Aufschwung-Ost-Minister vielleicht wegen seiner Haltung zur Asylrechtsänderung nicht gewählt wurde, kein Gedanke daran, daß die Prenzelberger und die Leute aus Mitte vielleicht Thierse und Heym im Bundestag sehen wollten, nicht nur „Wolle vom Kolle“, keine Vorstellung davon, daß manchem/r vielleicht die Anspielungen auf Heyms hohes Alter nicht gefallen haben. Thierse warb zwar mit Rot-Grün, er hätte seine Wählerstimmen aber auch schamlos in eine große Koalition unter Kohl eingebracht [...] Stefan Wirner
Sehr geehrter Herr Thierse, in dem Interview bezeichnen Sie die PDS als „Lumpensammler“, die auch in Zukunft „Enttäuschte, Frustrierte, Linke- und K-Gruppen“ einsammeln wird. Wie erklären Sie sich denn, daß im Westen dann niemand die PDS wählt? Gibt es dort keine Frustrierten und keine K- Gruppen? Indem Sie diesen Personenkreis als „Lumpen“ bezeichnen, verlieren Sie jede Glaubwürdigkeit, die Sorgen und Ängste der Menschen im Osten ernst zu nehmen und dokumentieren sozusagen Ihr wahres Gesicht als Angehöriger einer Partei, die zum Anhängsel umwelt- und menschenverachtender kapitalistischer Unionspolitik verkommen ist. Nicht nur hier in Berlin, in der anscheinend großartig funktionierenden großen Koalition (Raubbau an Wohnraum, Tiergartentunnel, Hauptstadtgrößenwahn ...), sondern auch bundesweit (Transrapid, Ausländergesetze ...).
Ist Ihnen nicht klar, daß viele Menschen, die PDS wählen, schlichtweg Angst haben, Wohnung und Arbeit und Existenzgrundlage in der Hauptstadt des vereinten Deutschland zu verlieren und berechtigterweise kein Vertrauen in die ihnen übergestülpten verlogenen westdeutschen Strukturen haben? Wenn 40 Prozent der Wähler in Ostberlin für Sie nichts als „Lumpen“ sind, dann wünsche ich Ihnen von Herzen noch viele Enttäuschungen und noch viel Erfolg beim Ausverkauf Ihres sozialen Gewissens. Holger Naujokat
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen