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Plakative Koalitions-Allgemeinplätze

Union und FDP demonstrieren Einigkeit bei den Koalitionsverhandlungen / Mögliche strittige Punkte, wie Innere Sicherheit und Ausländerpolitik, werden erst diese Woche besprochen  ■ Aus Bonn Erwin Single

Vor Beginn der nächsten Runde legte Erwin Huber die Taktik fest: Die Innere Sicherheit, signalisierte der CDU-Generalsekretär, werde „in keinster Weise zur Existenzfrage der Koalition“ werden. Nach einer grundsätzlichen Aussprache über die Sicherheitslage waren sich die Koalitionsparteien am Samstag zwar darüber einig, das heftig umstrittene Thema „zu einer ganz zentralen Aufgabe der kommenden Legislaturperiode zu machen“ (Huber). So wird etwa ein geschlossenes Programm zur Kriminalitätsbekämpfung angestrebt. Doch um die kritischen Fragen – angefangen beim Großen Lauschanriff bis hin zu einer Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten – drückten sich die Unterhändler von CDU, CSU und FDP erst einmal herum. Sie sollen nun, wie die Ausländerpolitik, diese Woche beraten werden.

Daß die unterschiedlichen Auffassungen zwischen Union und FDP jedoch zu einem ernsthaften Krach führen könnten, glaubt niemand. FDP-Chef Klaus Kinkel zeigte sich schon zu Beginn der Koaltionsverhandlungen nach allen Seiten offen: „Wir wollen keine Hürden errichten, die von der Union nicht bewältigt werden können.“ Für ein Entgegenkommen von CDU und CSU in der Ausländerpolitik gibt es bislang jedoch keine Anzeichen. Im Gegenteil: Die FDP-Forderung einer doppelten Staatsbürgerschaft werde seine Partei „ganz sicher nicht“ erfüllen, erklärte CDU-Chef Waigel.

Daß es viele Wege gibt, ein Thema zu beerdigen, demonstrierte – gewollt oder ungewollt – das Bauministerium. Dienstherrin Irmgard Schwätzer war am Wochenende sichtlich bemüht, die Unruhe zu beseitigen, für die das Gutachten einer Expertenkommission zur Wohnungspolitik gesorgt hatte. Nach dem heftigen Widerhall wollte auch in der Koalitionsrunde keiner mehr an dem Thema rühren. Es werde keinen Kahlschlag im Mietrecht geben, verkündete CDU-Generalsekretär Peter Hintze. Die Koalition will dafür sorgen, daß die Wohnungsnot in Ballungszentren gezielt bekämpft, Wohneigentum für Familien mit Kindern gefördert wird und die selbstgenutzten eigenen vier Wände wie bisher steuerlich begünstigt werden. Das Miet- und Wohngeldrecht soll „durchsichtiger“ gemacht werden.

Bei so viel plakativen Allgemeinplätzen konnte sich Peter Hintze freilich über den „erfolgreichen und zügigen Verlauf“ der Gespräche freuen. Aufgelistet, kurz diskutiert, schon ist man sich handelseinig, festgelegt werden ohnehin nur unverbindliche Eckpunkte. So hatte die Delegationen bereits am Freitag abend in groben Zügen die künftige Sozial- und Familienpolitik im Schnelldurchgang abgehakt. Man sei sich einig gewesen, gaben die Generalsekretäre anschließend zu Protokoll, ab 1996 für verbesserte steuerliche Regelungen bei der Kindererziehung zu sorgen. Für Familien mit geringem Einkommen soll der Kinderzuschlag heraufgesetzt, für Familien mit höherem Einkommen langfristig das Kindergeld gestrichen werden.

Ob sich die Kohl-Truppe auch noch dringlicheren Aufgaben zuwenden wird, weiß derzeit niemand. Für die Bekämpfung der Massenarbeitslosigkeit, die Steuerreform und den Umbau der Sozialsysteme bräuchte sie nicht nur eine breitere Mehrheit, sondern auch ein Konzept. Weil letzteres aber fehlt, begnügen sich die Koalitionäre vorerst damit, das mitzuteilen, was schon längst beschlossen ist: Der als „schlanker Staat“ propagierte Stellenabbau findet sich bereits im mittelfristigen Finanzplan wieder; die Senkung der Gewerbekapitalsteuer ist fester Bestandteil des Standortsicherungsprogramms.

Für kleine Nadelstiche am Rande sorgte dann doch noch ein Liberaler. In einem Papier aus dem Hause Rexrodt, über die Presse an die Öffentlichkeit gelangt, werden weitere drastische Einschnitte bei den Sozialausgaben verlangt – unter anderem durch längere Lebensarbeitszeiten, geringere Rentensteigerungen und eine Begrenzung der Sozialhilfeempfänger. Wirtschaftsminister Günter Rexrodt dementierte prompt: Es handle sich nur um einen internen, nicht autorisierten Vermerk eines Fachreferates.

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